Warum Tierversuche nicht nötig sind
Angeblich seien Tierversuche notwendig, um die Produkte, die wir benutzen, für uns sicher zu machen und um neue Behandlungsmethoden für kranke Menschen zu finden. Tatsächlich sind Tierversuche aber nicht geeignet, die Wirkung und Gefährlichkeit von Stoffen für den Menschen zu beurteilen. Mittlerweile erkennen immer mehr Wissenschaftler, Politiker und Bürger, dass Ergebnisse aus Tierversuchen nicht halten, was sie versprechen, und dass die Ergebnisse nicht auf den Menschen übertragen werden können.
Tierversuche sind gefährlich
…weil der Mensch keine Maus ist
Zwischen Tier und Mensch bestehen vielfältige Unterschiede hinsichtlich Körperbau, Organfunktionen, Stoffwechsel, Ernährung, Psyche und Lebensgewohnheiten. Aber auch die einzelnen Tierarten unterscheiden sich deutlich voneinander. Die Folge ist, dass Tiere verschiedener Arten auf Chemikalien und Medikamente unterschiedlich reagieren. Zum Beispiel vertragen Katzen das Schmerzmittel Paracetamol viel schlechter als Hunde, weil ihre Leber es nur langsam abbauen kann. Die übliche Dosierung eines Mittels gegen Hautpilz (Insol) ist für Meerschweinchen doppelt so hoch wie für ein Pferd, obwohl dieses 500 Mal schwerer ist. Meerschweinchen dagegen sterben an geringen Mengen Penicillin. Katzen vertragen Penicillin sehr gut, sterben allerdings an einem bestimmten Flohmittel für Hunde (Exspot). Ein anderes Flohmittel (Frontline) vertragen Hunde und Katzen gleich gut, Kaninchen jedoch nicht. Nicht anders ist das bei Tier und Mensch. Was für den Menschen schädlich ist, kann für ein Tier harmlos sein oder umgekehrt. Nach der Durchführung eines Tierversuchs kann nicht vorausgesagt werden, ob Menschen genauso oder anders reagieren werden. Im Gegenteil: Die Wirkungs- und Verträglichkeitsunterschiede sind häufig so gravierend und die Wirkungen oft so entgegengesetzt, dass die Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tierexperimenten auf die menschliche Situation ein absolut unkalkulierbares Risiko darstellt.
Neben den tierartlichen Unterschieden gibt es natürlich auch individuelle Unterschiede innerhalb einer Art. Wenn in der U-Bahn zwei Personen von jemandem angeniest werden, bekommt der eine einen Schnupfen, der andere nicht. Ob Sie sich anstecken, hängt unter anderem davon ab, wie fit Ihr Immunsystem ist und das wiederum ist abhängig davon, wie Sie sich ernähren, ob Sie rauchen, viel Stress haben, von psychischen und sozialen Faktoren sowie unbekannten Komponenten. Bei Tieren ist das nicht anders.
So hat schon so manches Meerschweinchen eine aus Unwissenheit gegebene Penicillininjektion überlebt, anderen Nagern hat es das Leben gekostet. Ein mittelgroßer Mischlingshund überstand eine Vergiftung mit Ibuprofen schadlos, obwohl er eine ganze Packung gefressen hatte. Ein etwa gleich großer Hund wurde nach nur einer Tablette Ibuprofen mit lebensbedrohlichen Magenblutungen in eine Tierklinik eingeliefert.
Die Natur ist eben nicht linear. Sie funktioniert nicht nach dem Prinzip: Wenn A, dann B. B kann passieren, muss aber nicht. Die tierexperimentell ausgerichtete Forschung versucht diese natürlichen Unregelmäßigkeiten zu eliminieren, indem Tiere, Haltung und Versuchsanordnung standardisiert werden. Alles soll möglichst gleich ablaufen, damit die Versuche reproduzierbar (wiederholbar) sind. Zum Teil werden Tiere gentechnisch manipuliert, um sie noch gleicher zu machen. Diese künstlich erzeugten Bedingungen unterscheiden sich allerdings vollkommen von dem normalen Umfeld des menschlichen Patienten. Denn welcher Mensch lebt, isst und verhält sich schon wie unter „Laborbedingungen“?
…weil „Tiermodelle“ unsere Krankheiten nicht darstellen können
Schon gesunde Tiere und Menschen unterscheiden sich stark voneinander. Da die meisten menschlichen Krankheiten natürlicherweise bei Tieren nicht vorkommen, werden die Symptome auf künstliche Weise in sogenannten „Tiermodellen“ nachgeahmt. Die künstlich hervorgerufenen Symptome haben jedoch nichts mit den menschlichen Krankheiten, die sie simulieren sollen, gemein. Menschen werden lebenslang mit einer Unzahl verschiedenster Einflüsse konfrontiert, die sich häufig gegenseitig beeinflussen. Ernährung, Lebensgewohnheiten, Verwendung von Suchtmitteln, schädliche Umwelteinflüsse, Stress, psychische und soziale Faktoren spielen bei der Entstehung von Krankheiten und deren Heilung eine ausschlaggebende Rolle. Diesem Umstand wird im Tierversuch keinerlei Rechnung getragen. Ergebnisse aus Studien mit Tieren sind daher irreführend und irrelevant.
Umgekehrt weiß niemand, wie viele sinnvolle Medikamente nie auf den Markt gelangen, weil sie aufgrund von irreführenden Tierversuchen vorzeitig aussortiert werden. Viele heute segensreiche Arzneien wie Aspirin, Ibuprofen, Insulin, Penicillin oder Phenobarbital wären uns vorenthalten geblieben, hätte man sich schon in früheren Zeiten auf den Tierversuch verlassen. Diese Stoffe rufen nämlich bei bestimmten Tierarten zum Teil aufgrund unterschiedlicher Stoffwechselvorgänge schwere Schädigungen hervor. Sie wären bei der heutigen Vorgehensweise der Wirkstofffindung durchgefallen.
Tierversuche nützen nicht nur nichts, sie schaden sogar. Sie spiegeln eine Sicherheit wider, die nicht vorhanden ist und sie halten, wegen der falschen Ergebnisse, die sie liefern, den medizinischen Fortschritt nur auf.
Tatsächlich versagt die tierexperimentell ausgerichtete Forschung immer wieder auf ganzer Linie. Bis zu 95 % der potenziellen Arzneimittel, die sich im Tierversuch als wirksam und sicher erwiesen haben, kommen nicht durch die klinische Prüfung am Menschen, entweder wegen mangelnder Wirkung oder wegen unerwünschter Nebenwirkungen. (1,2) Von den 5 % der Wirkstoffe, die eine Zulassung erhalten, wird später rund ein Drittel mit – teils dramatischen – Warnhinweisen versehen oder zurückgezogen, weil sich beim Menschen weitere schwerwiegende, oft sogar tödliche Nebenwirkungen herausstellen. (3)
Substanzen mit besonders verheerenden Auswirkungen machen Schlagzeilen und werden aus dem Verkehr gezogen, wie das Rheumamittel Vioxx (Rofecoxib), das in einem der größten Arzneimittelskandale 2004 vom Markt genommen werden musste. Dabei war dem Hersteller MSD das erhöhte Schädigungspotenzial dieser Arznei schon seit 2000 bekannt. (4) Doch die Risiken wurden gezielt unter den Tisch gekehrt. Erst 2004, als in einer weiteren Patientenstudie vermehrt Herzinfarkte und Schlaganfälle auftraten und das Risiko nicht mehr zu vertuschen war, blieb der Firma nichts anderes übrig, als das Mittel vom Markt zu nehmen. Einer Studie der US-Arzneimittelbehörde FDA zufolge hatte es allein in den USA zu rund 140.000 Fällen schwerer Herzerkrankungen geführt. (5) In den anschließenden Prozessen wurde die Firma zu insgesamt fast 6 Milliarden Dollar Schadenersatz bzw. Strafe verurteilt. Solche Pharmaskandale sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Viel Schlimmeres richten die Mittel an, die trotz gravierender Nebenwirkungen auf dem Markt bleiben. Allein in Deutschland gehen jährlich 58.000 Todesfälle auf das Konto von Arzneimittelnebenwirkungen. (6)
… weil Tierversuche die Medizin in eine Sackgasse getrieben haben
Oft wird von Tierversuchsbefürwortern behauptet, ohne Tierversuche gäbe es keinen medizinischen Fortschritt und unsere Krankheiten könnten nicht erforscht werden. Das ist nicht richtig. Die Tatsache, dass in der Vergangenheit Tierversuche durchgeführt wurden, bedeutet nicht, dass die Errungenschaften der Medizin nur auf diese Weise gefunden werden konnten. Die Erfolge der Medizin fallen außerdem weitaus spärlicher aus, als oftmals dargestellt wird.
Seit Jahrzehnten wird unter immensem Aufwand an Milliarden von Tieren geforscht. Trotzdem sind zwei Drittel aller Krankheiten bis heute nicht heilbar – schlimmer noch: Ihre Ursache ist oft noch gar nicht bekannt; insbesondere bei den Zivilisationskrankheiten (Krebs, Herz- und Kreislauferkrankungen, Diabetes, Rheuma, Allergien usw.) ist kaum ein Fortschritt zu verzeichnen. So waren 500 Schlaganfallmedikamente im Tierversuch wirksam, aber beim menschlichen Patienten versagten sie. (8) Die immer wieder angekündigten Durchbrüche lassen auf sich warten. Wenn der Tierversuch wirklich so wertvoll wäre, warum gibt es dann noch nicht das Mittel gegen Alzheimer, die Impfung gegen AIDS, den Erfolg bei Multiple Sklerose?
Natürlich sind in der Medizin auch einzelne Fortschritte erzielt worden. Diese stehen jedoch in keinem akzeptablen Verhältnis zum jahrzehntelangen Aufwand. Vor allem sind sie aber nicht zwangsläufig auf die tierexperimentelle Forschung zurückzuführen. Im Gegenteil: Bei gleichem Forschungsaufwand mittels tierversuchsfreier, auf den Menschen ausgerichteter Verfahren in Kombination mit umfangreicher Prävention wäre es sehr wahrscheinlich um die Gesundheit der Menschen heute weitaus besser bestellt. Allein in Bezug auf Krebs ließen sich zwei Drittel der Erkrankungen durch Prävention verhindern. Ohne Tierversuche wären uns zudem viele Arzneimittel-Katastrophen erspart geblieben. Denn Tierversuche täuschen eine Arzneimittelsicherheit vor, die nicht vorhanden ist.
Die Behauptung, die medizinische Forschung würde zusammenbrechen, würden Tierversuche verboten werden, ist geradezu eine Beleidigung für den Einfallsreichtum und die Erfindungsgabe der Wissenschaftler. Die Geschichte hat gezeigt, dass Menschen, wenn ein Weg versperrt wird, immer andere, gangbare Wege finden. Hätte man in anderen Bereichen auch so am „alt bewährten Standard“ festgehalten, würden wir uns heute noch mit der Dampfmaschine fortbewegen.
Tierversuche sind unethisch
... denn es fühlt wie Du den Schmerz
Der offiziellen Statistik zufolge leiden und sterben jährlich rund 2,5 Millionen Tiere in Deutschland in Tierversuchen. Diese Statistik ist jedoch unvollständig: Sie umfasst zum einen nur Wirbeltiere und Kopffüßer (Tintenfische) – Insekten, Krebse und Schnecken werden überhaupt nicht gezählt. Auch Tiere, die schon bei Zucht, Haltung und Transport sterben oder als sogenannter Überschuss getötet werden, tauchen in der Statistik nicht auf. In der Gentechnik werden zur Erstellung von genveränderten Tieren zahllose Tiere 'produziert' und einfach getötet, wenn diese nicht den gewünschten Gen-Defekt aufweisen (bis zu 54 sogenannte „Ausschusstiere“ pro genmanipuliertem Tier). Diese Tiere werden ebenfalls nicht in den Statistiken erfasst.
Im Tierversuch werden Tiere als „Modellorganismen“ zu Messinstrumenten degradiert, die nach Gebrauch weggeworfen werden. Doch Tiere sind fühlende, leidensfähige Lebewesen, sie können Freude und Angst empfinden, Schmerz und Qualen erleiden, genau wie wir.
Beispiele von Tierversuchen aus Deutschland:
- Depressionsforschung: Ratten oder Mäuse werden „erlernt hilflos“ gemacht, indem ihnen unausweichliche Elektroschocks verabreicht werden, bis die Tiere sich aufgeben. An ihnen werden alsdann Antidepressiva probiert. (9)
- Xenotransplantationsforschung: Pavianen wird ein Schweineherz in die Bauchhöhle verpflanzt; das Immunsystem attackiert das fremde Organ und stößt es ab, der Affe stirbt qualvoll. (10)
- Hirnforschung: Affen werden im „Primatenstuhl“ fixiert und bekommen nur ein paar Tropfen Flüssigkeit, wenn sie nach Forscherwunsch agieren. (11)
- Zahnmedizin: Hunden werden 20 Zähne gezogen, um Implantate zu testen. (12)
- Botox-Test: Jede Produktionseinheit des Nervengifts Botulinumtoxin („Botox“) wird Mäusen in die Bauchhöhle injiziert. Die Tiere ersticken qualvoll durch Atemlähmung.
- Altersforschung: Fischen werden die Flossen abgeschnitten, um das Nachwachsen zu untersuchen. (12)
- Sepsisforschung: bei Schweinen wird durch Injektion von Eiterbakterien in die Blutbahn eine Blutvergiftung ausgelöst; in Herz, Lungen und Nieren entwickeln sich Abszesse, nach fünf Tagen sind die Tiere tot. (13)
- Krebsforschung: Genmanipulierten Mäusen werden Krebszellen in die Bauchspeicheldrüse injiziert. Es entwickeln sich Metastasen in anderen Organen, nach 4-8 Tagen sind alle Tiere tot. (14)
Allein wegen ihrer Grausamkeit müssten Tierversuche sofort verboten werden. Tierversuche und eine ethisch vertretbare Medizin und Wissenschaft schließen sich aus. Achtung und Ehrfurcht vor dem Leben müssen das höchste Gebot menschlichen und insbesondere auch ärztlichen und wissenschaftlichen Handelns sein.
So geht moderne Forschung!
Im Gegensatz zum Tierversuch liefern moderne tierversuchsfreie Verfahren verlässliche, für den Menschen relevante Ergebnisse und sind dazu meist auch noch kostengünstiger. Trotzdem führen diese Methoden in der tierexperimentell dominierten Forschung und Medizin ein Schattendasein. Sie sind für junge Forscher oft nicht attraktiv. Die Beschäftigung mit tierversuchsfreien Verfahren ist weder für die Karriere zuträglich, noch fließen in diesem Bereich nennenswerte Forschungsgelder. Die Bundesregierung fördert die tierversuchsfreie Forschung mit wenigen Millionen Euro jährlich – lächerliche Beträge verglichen mit den Milliarden, die der tierexperimentellen Forschung zur Verfügung stehen.
Doch trotz dieser minimalen Unterstützung hat die tierversuchsfreie Forschung beachtliche Erfolge aufzuweisen, und mehr und mehr Forscher erkennen ihr Potenzial. So kündigten die amerikanische Umweltschutzbehörde EPA und die Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH) an, Chemikalien und andere Stoffe in Zukunft mit automatisierten Zellsystemen und Computermodellen testen zu wollen. (15)
Grund sei die schlechte Übertragbarkeit der Ergebnisse, die hohen Kosten und die lange Dauer von Tiertests. Mit Robotern ist es möglich, mehrere tausend Substanzen innerhalb eines Tages durchzutesten, was mit Tierversuchen Jahre dauern und dann nicht einmal brauchbare Ergebnisse hervorbringen würde. Der Oberbegriff „In vitro“ bedeutet „im Reagenzglas“ und steht im Gegensatz zu „in vivo“ (im Lebenden). Solche In-vitro-Systeme arbeiten mit Zell- und Gewebekulturen, aber auch Mikroorganismen oder Blut. Menschliche Zellen und Gewebe stammen aus chirurgischen Eingriffen, Nachgeburten oder Nabelschnüren.
Organ-Chips (auch „Biochip“ oder „Organ-on-a-chip“) gibt es bereits für Haut, Herz, Darm, Lunge, Niere, Leber und sogar als Mini-Gehirn. Beim Multiorganchip werden die Mini-Organe mit kleinen Schläuchen zu einem „Blutkreislauf“ verbunden. Es entsteht quasi ein Mini-Mensch, der den menschlichen Stoffwechsel lebensecht nachbildet. Testsubstanzen können so zirkulieren und ihre Verstoffwechslung und deren Wirkung auf das beteiligte Organ untersucht werden. Der Vorteil dieser Systeme ist, dass sie auf menschlichem Material basieren, d.h. man hat nicht das Problem der Übertragbarkeit. In den USA stecken die Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH) in einem fünf-Jahres-Programm 70 Millionen Dollar in diese Technologie. (16)
Besonders vielseitige Möglichkeiten ergeben sich aus einer neuen Technik, den induzierten pluripotenten Stammzellen (IPS), für die der japanische Forscher Shin‘ya Yamanaka 2012 den Nobelpreis erhalten hat. Mit dieser Technik ist es möglich, z.B. Hautzellen erwachsener Menschen in Stammzellen „zurückzuprogrammieren“ und anschließend daraus Mini-Organe zu züchten.
Vielfach wird seitens der Tierversuchsbefürworter argumentiert, Zellkulturen und Organchips reichten nicht aus, da ein Gesamtorganismus benötigt würde. Die Ergebnisse aus dem „Gesamtorganismus“ Maus jedoch, (gehalten in sterilen Plastikkästen und zudem meist genmanipuliert), sind nicht auf den Menschen übertragbar. Dieser lebt in einer extrem abwechslungsreichen Umgebung und ist komplexen Einflüssen ausgesetzt. Es handelt sich zudem bei jedem Tier, egal wie hoch der Verwandtschaftsgrad zum Menschen sein mag, um den falschen Organismus. Damit sind alle gewonnenen Ergebnisse und Erkenntnisse wertlos. Multiorganchips sind auch kein Gesamtorganismus, kommen aber der Situation beim Menschen näher als der Tierversuch, wenn menschliche Zellen verwendet werden.
Besser ein unvollständiges, aber relevantes System (Biochip), als ein vollständiges irrelevantes (Tierversuch)!
Weitere tierversuchsfreie Forschung
Mit der Kombination verschiedener tierversuchsfreier Verfahren erhält man aussagekräftige Erkenntnisse für den Menschen, was im Tierversuch aufgrund der Unterschiede in Stoffwechsel, Körperbau und Lebensweise zwischen Tier und Mensch nicht erreicht werden kann.
Mit komplexen Computerprogrammen, die mit menschlichen Daten gefüttert werden, kann man die zu testende Substanz – etwa ein neues Herzmedikament oder eine Chemikalie – durchsimulieren. Man erhält damit Aussagen über Stoffwechselvorgänge im menschlichen Körper.
Mittels Bevölkerungsstudien, also Untersuchungen an Gruppen von Menschen, können die Zusammenhänge zwischen bestimmten Krankheiten und dem Lebensstil sowie den Lebensumständen von Menschen, wie Ernährung, Gewohnheiten und Arbeit, aufgedeckt werden. Die sog. Epidemiologie entwickelte sich aus der Beobachtung von Infektionskrankheiten. Im 19. Jahrhundert konnten hygienische und soziale Missstände als Ursachen für die Seuchenzüge der damaligen Zeit identifiziert werden. Aufgrund der Ergebnisse aus epidemiologischen Untersuchungen konnten vorbeugende Maßnahmen abgeleitet werden. Beispielsweise wurden die krebserregenden Eigenschaften von Tabakrauch und Asbest so erkannt.
Fleisch- und fettreiche Ernährung, Bewegungsmangel sowie psychosoziale Faktoren konnten aufgrund von Bevölkerungsstudien als Hauptursachen für Diabetes, Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfall, Herzinfarkt und Arteriosklerose identifiziert werden. Hieraus lassen sich präventive Maßnahmen ableiten, d. h. viele Krankheiten können verhindert werden, bevor sie entstehen. So weiß man heute aus Bevölkerungsstudien, dass rund ein Drittel aller Krebserkrankungen auf Zigarettenrauchen und ein weiteres Drittel auf falsche Ernährung zurückzuführen ist. (7)
Microdosing ist eine neue Technik im Bereich der Arzneimittelforschung, bei der Freiwillige eine extrem kleine Dosis eines potenziellen Medikamentes verabreicht bekommen. Eine Mikrodosis ist so klein, dass sie keinerlei pharmakologische Wirkung bei der Versuchsperson hat und damit auch keinen Schaden anrichten kann. Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechslung und Ausscheidung des Stoffes werden in Blut und Urin mit hochempfindlichen Analysemethoden gemessen.
Warum werden immer noch Tierversuche gemacht?
Wenn Tierversuche so schlechte Ergebnisse liefern und tierversuchsfreie Forschung so viel besser ist, warum müssen dann immer noch so viele Tiere in Versuchen sterben?
- Etwa 60% der Tierversuche in Deutschland werden im Rahmen der Grundlagenforschung durchgeführt. Diese ist per Definition zweckfrei, es geht um das reine Streben nach Erkenntnis, anwendbare Ergebnisse sind nicht das erste Ziel
- Seit mehr als 150 Jahren gilt die Methode Tierversuch in der Wissenschaft als „Goldstandard“, ohne dass sie jemals auf ihre medizinisch-wissenschaftliche Relevanz hin überprüft worden ist.
- In die Tierversuchsforschung fließen enorme Summen in Form von Forschungsgeldern, Drittmitteln oder Stipendien.
- Nur mit einer langen Liste von Veröffentlichungen in hochrangigen Fachzeitschriften kann man sich in der Welt der Wissenschaft einen Namen machen.
- Tierversuche dienen der Befriedigung der wissenschaftlichen Neugier, dem Drang, die Natur und ihre Phänomene ohne Rücksicht auf ethische Grenzen bis ins letzte Detail ergründen zu müssen.
- Für die Pharmaindustrie haben Tierversuche eine Alibifunktion, da sie sie vor Regressansprüchen schützen können.
- Tierversuchsfreie Forschungsmethoden werden finanziell völlig ungenügend gefördert.
- Eine tierversuchsfreie Methode wird nur dann behördlich anerkannt, wenn ihre Ergebnisse „validiert“ sind, das heißt, wenn sie mit denen des entsprechenden Tierversuchs übereinstimmen. Der Tierversuch selbst wurde allerdings nie validiert. Er wird einfach akzeptiert, obwohl die Ergebnisse ungenau und nicht auf den Menschen übertragbar sind. Die Qualität neuer, sinnvoller Testsysteme wird also an einer schlechten, veralteten Methode gemessen. Aussagekräftige In-vitro-Systeme haben es daher schwer, behördlich anerkannt zu werden.
Fazit
Der Tierversuch ist eine unnötige Testmethode, ein Relikt vergangener Zeiten, das im 21. Jahrhundert keinen Platz haben darf. Anstatt an Methoden aus dem vorletzten Jahrhundert festzuhalten, müssen wissenschaftliche Forschungstechniken ohne Tierversuche, klinische Studien am Menschen sowie die Vorbeugung von Krankheiten in den Vordergrund rücken, um in der Medizin zu wirklichen Fortschritten zu gelangen.
15.11.2021
Dr. med. vet. Corina Gericke
Quellen
(1) Arrowsmith, J.: A decade of change. Nature Reviews Drug Discovery 2012: 11; 17-18
(2) KMR Group Inc.: Annual R&D General Metrics Study Highlights New Success Rate and Cycle Time Data. CHICAGO, Illinois, 08.08.2012
(3) Nicholas, S. et al.: US Food And Drug Administration Between 2001 and 2010. JAMA 2017: 317 (18); 1854-1863
(4) MSD in der Sackgasse – jahrelang Risiken von Vioxx verschleiert. Arzneitelegramm 2004: 11; 117-118
(5) Vioxx verursacht zehntausende zusätzliche Fälle koronarer Herzerkrankungen. The Lancet, 28.01.2005
(6) Schnurrer, J. U. et al.: Zur Häufigkeit und Vermeidbarkeit von tödlichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Der Internist 2003: 44; 889-895
(7) Leitzmann C et al.: Ernährung in Prävention und Therapie. Hippokrates 2009, Stuttgart, S. 385
(8) Van der Worp, B. H. et al: Can Animal Models of Disease Reliably Inform Human Studies? PlosMedicine 2010:7; e10000245
(9) Vogt, M.A. et al.: Impact of adolescent GluA1 AMPA receptor ablation in forebrain excitatory neurons on behavioural correlates of mood disorders. European Archive of Psychiatry and Clinical Neuroscience 2014: 264; 625-629
(10) Abicht, Jan-Michael et al.: Pre-clinical heterotopic intrathoracic heart xenotransplantation: a possibly useful clinical technique. Xenotransplantation 2015: 22; 427–442
(11) Jacob, S.N. et al.: Cell-type-specific modulation of targets and distractors by dopamine D1 receptors in primate prefrontal cortex. Nature Communications 2016: 7; 13218. doi: 10.1038/ncomms13218
(12) Blum, Nicola et al.: Osteoblast de- and redifferentiation are controlled by a dynamic response to retinoic acid during zebrafish fin regeneration. The Company of Biologists Ltd, Development 2015: 142; 2894-2903
(13) Sauer, Martin et al.: Role of different replacement fluids during extracorporeal treatment in a pig model of sepsis. Therapeutic Apheresis and Dialysis 2013: 17(1); 84-92
(14) Gürlevik, Engin et al.: Administration of gemcitabine after pancreatic tumor resection in mice induces an antitumor immune response mediated by natural killer cells. Gastroenterology 2016. doi: 10.1053/j.gastro.2016.05.004
(15) Davison, A.: Ein Ende aller Tierversuche? Technology Review, 10.03.2008
(16) NIH funds development of tissue chips to help predict drug safety. Pressemitteilung der NIH vom 24. 7.2012