Tierversuche bei der Bundeswehr
Tierversuche im Bereich der Militärforschung unterliegen strengster Geheimhaltung, weswegen nur spärliche Informationen an die Öffentlichkeit dringen. Eine Antwort des Bundesverteidigungsministeriums vom Februar 2021 auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE offenbart schockierende Details zu Tierversuchen bei der Bundeswehr. (1)
Jedes Tier ist eines zu viel
Laut Tierschutzgesetz sind Tierversuche zur Entwicklung und Erprobung von Waffen und Munition verboten. (2) Dennoch wurden in den letzten 20 Jahren zwischen 115 und 904 Tiere jährlich in „internen“ Versuchen der Bundeswehr verwendet, insgesamt 7.507 Tiere. 85 % waren Ratten und Mäuse, aber auch 144 Hunde, 307 Großtiere wie Schafe, Ziegen und Pferde sowie 630 Meerschweinchen wurden für militärische Versuchszwecke eingesetzt. Die Kosten für diese Tierversuche werden in der Antwort nicht bekannt gegeben; die Genehmigung erfolgt durch die Bundeswehr selbst.
Immerhin sind die Tierzahlen pro Jahr seit 1984 insgesamt deutlich gesunken (s. Grafik). Dennoch ist jedes Tier, das für die Bundeswehr leiden und sterben muss, eines zu viel!
Grafik: „Interne“ Tierversuche bei der Bundeswehr pro Jahr (1,3).
Für weitere Forschungs- und Ausbildungsvorhaben wurden externe Einrichtungen beauftragt, auf deren Konto weitere 4.254 Tiere seit 2012 gehen. Die Kosten für die externen Aufträge beliefen sich von 2012 bis 2019 auf knapp 2 Millionen Euro. Die Tierzahlen der externen Einrichtungen finden Eingang in den Jahresmeldungen des jeweiligen Bundeslandes, nicht in den Verbrauchszahlen der Bundeswehr. Auch Genehmigung bzw. Anzeige obliegt dem jeweiligen Bundesland. Die Bundeswehr beauftragt die externe Einrichtung erst, wenn eine Genehmigung vorliegt.
Nervenkampfstoffe und Verstrahlung
Die Tierzahlen sind schockierend genug, aber was geschieht mit den Tieren? Die folgende Auflistung gibt nur einen kleinen Teil der Palette der Grausamkeiten, denen Tiere bei der Bundeswehr – ob intern oder durch externen Auftrag – ausgesetzt werden.
- Schwere Hautverletzungen bei Mäusen
- Knorpeltrauma bei Kaninchen
- Mehrfache Verletzung (Polytrauma) bei Mäusen
- Verletzung des Gesichtsnervs bei Mäusen
- Spätfolgen nach ionisierender Strahlenbelastung bei Mäusen
- Vergiftung mit Nervenkampfstoff VX bei Ratten und Meerschweinchen
- Vergiftung mit Nervenkampfstoff Soman oder Senfgas (Schwefellost) bei Ratten
- Nervenverletzung und Blutverlust bei Schweinen
- Blutungsschock und stumpfes Trauma bei Mäusen
- Annähen eines Haut-Muskel-Lappens bei Schweinen
- Tötung von 7.250 Mäusen, Ratten, Meerschweinchen und Kaninchen zur Organentnahme zum Zweck der Behandlung neuromuskulärer Störungen bei Nervenkampfstoffvergiftung
Von 48 Tierversuchsvorhaben seit 2012 wurden zwei nicht genehmigt, bzw. nicht durchgeführt. Bei dem nicht genehmigten Versuch handelt es sich um VX-Vergiftung über die Haut am Meerschweinchen. VX ist ein Nerven-Kampfstoff, der über die Haut in den Körper eindringt, die Atemmuskulatur lähmt und innerhalb weniger Minuten unter starken Krämpfen und Schmerzen zum Tod führt. Ein 2015 beantragter Tierversuch wurde wegen zu großer Belastung für die betreffenden Tiere nicht genehmigt. 2013 und 2015 wurden ähnliche Versuche offensichtlich genehmigt – hier waren die Meerschweinchen aber narkotisiert.
Abgesehen von der ethischen Fragwürdigkeit, ist eine Übertragbarkeit auf die Situation beim Menschen nicht gegeben.
Auch Affen mussten für militärische Zwecke leiden. Von 2005-2009 wurden beim Deutschen Primatenzentrum Göttingen (DPZ) Experimente mit Pocken-Viren an 18 Makaken in Auftrag gegeben. Bei 9 Krallenaffen wurde durch eine nicht genannte externe Einrichtung die Nervenkampfstoffexposition „verifiziert“.
Besonders erschütternd ist, dass auch einige Versuche mit Schweregrad „schwer“ aufgelistet werden. So wird bei Mäusen ein Knochen gebrochen oder durchtrennt, mit einer Metallplatte verschraubt und mit Bakterien infiziert. 176 Mäuse mussten dafür in einer externen Einrichtung leiden und sterben.
Schweine verstümmelt für chirurgische Übungen
Beim sogenannten „Life Tissue Training (LTT)“ werden im Auftrag der Bundeswehr durch eine externe Einrichtung jährlich Lehrgänge durchgeführt. Dabei werden Schweine verstümmelt („Damage Control Surgery“), um von Einsatzkräften wieder zusammengeflickt zu werden. Jedes Jahr werden hierfür zwischen 9 und 12 Schweine verwendet. Hinzu kommen chirurgische Maßnahmen an Mäusen, Ratten und Meerschweinchen.
Solche Übungen sind völlig antiquiert, denn heute gibt es eine Vielzahl an modernen Übungstools, mit denen chirurgische Eingriffe erlernt und geübt werden können. Dazu zählen lebensechte menschliche Modelle, die Puls und Atmung haben und bluten können sowie hochmoderne Computersimulatoren, die ein absolut authentisches Operationsgefühl bieten inklusive haptischer Wahrnehmung und unvorhersehbaren Komplikationen. Diese sind nicht nur aus ethischen Gründen vorzuziehen, sondern sind vor allem auch didaktisch sinnvoll, denn wenn Sanitäter und Ärzte im „falschen Körper“ lernen, ist das geradezu verantwortungslos. In der Notfallsituation müssen in Sekunden anhand von Landmarken die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Erst am Tier zu „trainieren“ ist ein Umweg, der Menschenleben kosten kann!
Ein System, das speziell für das Training und den Einsatz in Krisengebieten entwickelt wurde, ist der „Cut Suit“. Es handelt sich um eine Art künstlichen, etwas flacheren Oberkörper, in dem sich die entsprechenden Organe und Kunstblut befinden und der einer Person umgeschnallt wird. So können relevante kriegerische Notfallsituationen wie Blutverlust und Organverletzungen nicht nur an einem künstlichen Modell trainiert werden, sondern an einem Menschen, der sich schauspielerisch vor Schmerzen krümmt und schreit, wie bei einer echten Verletzung.
Mit dem Cut Suit können Kriegsverletzungen realistisch nachgestellt werden. (©www.strategic-operations.com)
Dass angesichts solch ausgeklügelter Systeme bei der Bundeswehr weiterhin Schweine und Nagetiere herhalten müssen, ist skandalös!
Warum ist das erlaubt?
Im Tierschutzgesetz 7a Abs. 3 heißt es: „Tierversuche zur Entwicklung oder Erprobung von Waffen und Munition und dazugehörigem Gerät sind verboten.“
Doch solange keine Waffen und Munitionen entwickelt und erprobt werden, sind Tierversuche unter dem Mantel der Grundlagenforschung oder zur vorgeblichen Sicherheit von Soldaten und Zivilbevölkerung erlaubt.
Was auch immer die Motive und Begründungen für militärische Experimente sind, für die Tiere handelt es sich immer um Angriffswaffen. Der Missbrauch von Tieren für militärische Zwecke ist wohl ist mit das Perfideste, was man sich vorstellen kann.
1. Juni 2021
Dr. med. vet. Corina Gericke
Quellen
(1) Antwort des Bundesministeriums der Verteidigung vom 25.2.2021 auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten der Bundestagsfraktion DIE LINKE; BT-Drucksache 19/26074 vom 21.01.2021
(2) Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006, zuletzt geändert durch Artikel 280 der Verordnung vom 19.Juni 2020 (BGBl. I S. 1328), §7a Abs. 3
(3) Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft: Tierschutzbericht 2015, S. 129