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21. Jahrhundert zum Trotz: Dass nach wie vor Tiere oder Teile von getöteten Tieren in der chirurgischen Aus- und Weiterbildung verwendet werden, ist traurige Realität. Insbesondere Großtiere wie Schweine oder Schafe werden in Narkose versetzt, sie werden als Übungsobjekte benutzt und am Ende getötet. Ein unhaltbarer Zustand, zumal humanrelevante Methoden zur Verfügung stehen. ÄgT will mit dieser Kampagne auf diesen Skandal aufmerksam machen und Kursanbieter dazu bewegen, auf den Verbrauch von Tieren zu verzichten.

Tierversuche in der Chirurgie werden unter anderem im Bereich der Grundlagenforschung, bei der Entwicklung neuer Instrumente oder Implantate und bei Verträglichkeitsprüfungen selbiger durchgeführt. Ein Thema, das anmutet wie ein Relikt aus einem anderen Zeitalter ist das Üben von chirurgischen Fertigkeiten an narkotisierten Tieren. Wer nun denkt, dass dies doch unsinnig ist, da Mensch und Schwein oder Mensch und Schaf sich anatomisch unterscheiden, liegt damit richtig – ein paar ausgewählte Übereinstimmungen lassen aber viele Kursanbieter an dieser barbarischen Praxis festhalten. 

Besonders unverständlich ist dies deswegen, weil seit vielen Jahren eine Fülle an tierfreien Methoden zur Verfügung steht, die die anatomischen Gegebenheiten eines Menschen abbilden können und verschiedenste Variationen der Anatomie des gesunden Menschen, aber auch unterschiedliche Ausprägungen von Krankheitsbildern realitätsgetreu darstellen. Allein in Hinblick auf die Patientensicherheit ist es inakzeptabel und fahrlässig, angehende Operateure in einem falschen System lernen zu lassen. In vielen Notfallsituationen ist schnelles und sicheres Handeln gefragt und dazu müssen die anatomischen Strukturen und Einzigartigkeiten eines Menschen in Sekundenschnelle erkannt werden und vertraut sein. Dies können nur humanrelevante Simulationen bieten. 

Warum gibt es diese Kurse? 

Es gibt viele Fachrichtungen, die chirurgische Tätigkeiten beinhalten und damit bestimmte chirurgische Fähigkeiten voraussetzen, wie Gefäßchirurgie, Thoraxchirurgie, Ästhetische Chirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie und viele mehr. Um die entsprechenden Fähigkeiten, die es zum Operieren braucht, zu erlernen, müssen diese natürlich von den angehenden Spezialisten ausführlich geübt werden, damit die Handgriffe auch sicher beherrscht werden, wenn sie ihre erste Operation an einem richtigen Patienten durchführen bzw. bei dieser assistieren.

Auch Fachärzte, die bestimmte Kenntnisse auffrischen oder sich neue aneignen möchten, müssen diese üben und trainieren.

Zu diesem Zweck bieten viele Universitätskliniken, aber auch einige private Anbieter sowie ärztliche Fachverbände Weiterbildungskurse an. Diese können von ein paar Stunden bis zu mehreren Tagen dauern und auch in Zusammenhang mit anderen Fachveranstaltungen wie Jahresversammlungen oder Messen stattfinden.

Medizinische Kurse mit Tierverbrauch gibt es nicht nur für die Chirurgie: Auch in Kursen für Anästhesiologie oder in der Erstversorgung Schwerverletzter sowie bei Produktschulungen, die von Medizingeräteherstellern finanziert sein können, werden in manchen Fällen Tiere verwendet. 

Wie laufen diese Kurse ab? 

Schwein auf dem OP-Tisch
Am häufigsten werden Schweine für chirurgische Übungen eingesetzt, obwohl sich ihre Anatomie deutlich von der des Menschen unterscheidet. (Quelle: Prall M. et al, Physica Medica 2017, 43)

Teilnehmen darf, je nach Kursausrichtung, ausschließlich medizinisches Fachpersonal. Zunächst gibt es eine allgemeine Einführung in das Thema, dann einen Fachvortrag zu den Fähigkeiten, die in diesem Kurs erlernt werden sollen und es wird die bevorstehende und durchzuführende Operation dargestellt und besprochen. 

Leider werden aber auch immer noch Tiere extra für diese Kurse herbeigeschafft.

Bei vielen Kursbeschreibungen, die genaue Ablaufpläne der jeweiligen Tage enthalten, entlarvt sich bei genauerem Hinsehen das System bereits selber: Häufig gibt es noch einen Programmpunkt, der „Einführung in die Anatomie des Schweins/Schafs“ heißt (1). Verwunderlich ist dies nicht: In diesen Kursen nehmen zwar ausschließlich Fachleute mit teilweise jahrelanger Berufserfahrung teil – deren Kenntnisse beruhen aber auf der menschlichen Anatomie, also der, die für ihren Beruf relevant ist. Die tierische Anatomie unterscheidet sich somit stark von der menschlichen, sodass diese Unterschiede zunächst ausführlich erläutert werden müssen, bevor die Übung beginnen kann – der wissenschaftliche Irrsinn, Tiere als Modelle für den Menschen zu nehmen, wird hier mehr als deutlich. Es wird also im falschen System gelernt, was fahrlässig ist, insbesondere in Hinblick auf die Patientensicherheit, die immer an erster Stelle stehen muss. 

Werden in einem Kurs also Tiere verwendet, werden diese zunächst in Narkose versetzt und auf dem Operationstisch festgeschnallt. Dann beginnt die OP des Tieres, bei der oft Komplikationen auftreten. In einer Studie, in der bei 40 Schweinen die Entfernung eines Lungenlappens durchgeführt wurde, entwickelten über die Hälfte eine verminderte Atmung, durch die 10% zum Tod im letzten Operationsdrittel führte. Bei 20% verlangsamte sich der Herzschlag extrem, woran 5% der Schweine vor Ende der Prozedur starben (2).

Nach Beendigung der Operation werden die Tiere – falls sie bis dahin überlebt haben – meist noch in Narkose getötet. 

Wo werden diese Kurse durchgeführt? 

In ganz Deutschland verteilt gibt es Kurse, die Tiere als Weiterbildungszweck benutzen, wie unsere Karte zeigt. Die Anbieter sind dabei sehr unterschiedlich: chirurgische Abteilungen von Krankenhäusern, Berufsverbände bestimmter medizinischer Fachrichtungen, aber auch Medizingerätehersteller können als Veranstalter fungieren. Darüber hinaus gibt es spezialisierte Zentren, die fachübergreifend Kurse das ganze Jahr anbieten.

Viele Veranstalter kommunizieren auf ihren Websites und Flyern aber nicht deutlich, ob für die Übungen Tiere oder Teile von Tieren verwendet werden oder ob tierfreie Modelle zum Einsatz kommen.

Chirurgie-Kurese in Deutschland
Tierverbrauch in chirurgischen Fort- und Weiterbildungskursen. Ergebnisse einer Recherche von Ärzte gegen Tierversuche. Die Karte erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Da hier eine große Intransparenz herrscht, haben wir im Internet und mithilfe von Hinweisen unserer Ärzte-Mitglieder sowie durch Anfragen an die Anbieter eine Übersicht über die angebotenen chirurgischen Kurse erstellt. In dieser Liste der 59 Kursanbieter arbeiten 19 eindeutig ohne Tiere oder Tierorgane, sondern mit einer oder mehreren Simulationsmethoden. 23 Anbieter benutzen Tiere und bei 17 Anbietern konnte nicht eindeutig ausgeschlossen werden, ob Tiere in diesen Kursen verwendet werden. Die Anschreiben konnten nicht in jedem Fall Licht ins Dunkel bringen, da ca. die Hälfte der angeschriebenen Institutionen auch auf mehrfache Nachfrage nicht antwortete oder die Rückmeldungen so uneindeutig waren, dass Tierverbrauch nicht sicher ausgeschlossen werden konnte. Allein diese Intransparenz in Zusammenhang mit Ignoranz von Anfragen dieser Art gibt Anlass zur Vermutung, dass der Tierschutz hier keinen hohen Stellenwert genießt.

Entsprechend haben wir alle Anbieter noch einmal angeschrieben und die, deren Kurse mit Tierverbrauch einhergehen, kritisiert und aufgefordert, auf humanbasierte Methoden umzusteigen. 

Das ist zwar erfreulich, dass ca. ein Drittel der Anbieter ohne Tierverbrauch arbeiten, aber insgesamt ist es erschütternd, dass in so vielen anderen Kursen Tiere verbraucht werden. Vor allem stellt sich hier die Frage, mit welchen (rechtlichen) Argumenten Tiere verwendet werden, wenn doch andere Anbieter vollständig auf Tierversuche verzichten. 

Tabellarische Übersicht über Kursanbieter mit und ohne Tierverbrauch. ÄgT Journal 1/2021 (PDF)

Zahlen und gesetzliche Grundlagen

Die Anzahl der Tiere, die für die Weiterbildung verbraucht und getötet werden, liegt seit Jahren auf einem ähnlichen Niveau und hat über die letzten 10 Jahre nur leicht abgenommen. 2019 wurden laut Statistik des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) 53.805 Tiere für diesen Zweck verbraucht, davon 1.504 Schweine und 108 Schafe (3). Eine weitere Aufschlüsselung erfolgt nicht, sodass sich nicht sicher bestimmen lässt, wie viele Tiere für die chirurgische Weiterbildung getötet werden. Auch, wenn die Zahl im Vergleich zur Gesamtzahl der Tierversuche niedrig erscheint: Jedes einzelne Tier ist im Laufe seines kurzen Lebens erheblichem Leid ausgesetzt. Zudem birgt das Erlernen von chirurgischen Techniken in einem artfremden System eine Gefahr für die Gesundheit realer, menschlicher Patienten, für deren Rettung diese Kurse ja eigentlich befähigen sollen. 

Gesetzlich gesehen sind Tierversuche für die Aus-, Fort- und Weiterbildung nach § 7a Absatz 1 Satz 7 Tierschutzgesetz erlaubt, sofern sie unerlässlich sind (4).

Fraglich ist natürlich, inwiefern von einer Unerlässlichkeit gesprochen werden kann, wenn doch zahlreiche tierfreie Methoden existieren – hier heißt es im Gesetz „[…] Es ist zu prüfen, ob der verfolgte Zweck nicht durch andere Methoden oder Verfahren erreicht werden kann. […]“ (4). Hier liegt aber die Crux: Der Bereich der Tierversuche zu Aus-, Fort- und Weiterbildungszwecken unterlag bisher laut deutschen Tierschutzgesetz lediglich der Anzeigepflicht; d.h. ein formal korrekt ausgefüllter Bogen genügte, um solche Versuche durchführen zu können. Die Antragsteller konnten angeben, dass kein adäquates tierfreies Modell zur Verfügung steht, das genau diese Fragestellung bedient; eine unabhängige Prüfung und Ablehnung des Bescheids war bislang nicht vorgesehen. 

Skandalös ist, dass diese in Deutschland gesetzlich verankerte Praxis 8 Jahre lang gegen geltendes EU-Recht verstieß, da die EU-Tierversuchsrichtlinie vorgibt, dass Tierversuche zu Ausbildungszwecken der Genehmigungspflicht unterliegen müssen (5). Erst ein Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen Deutschland wegen falscher Umsetzung von EU-Recht zwang die Bundesregierung dazu, Versuche zur Aus-, Fort- und Weiterbildung unter die Genehmigungspflicht zu stellen. Ob sich diese im Januar 2021 als Novellierungs-Entwurf vorgelegte Regelung auf die Praxis der chirurgischen Ausbildung auswirken wird, muss sich zeigen (6).

Dass von Seiten der Politik schon länger geringes Interesse bestand, Tiere nachhaltig zu schützen, zeigt auch eine Kleine Anfrage aus dem Jahr 2013 an den Senat Berlin. Auf die Frage, inwiefern der Senat Einfluss ausüben kann, damit bei einem bekannten Kursanbieter statt Tieren moderne tierversuchsfreie Trainingsmethoden eingesetzt werden, lautet die Antwort: „Da es sich um im Sinne des Tierschutzes rechtlich geprüfte und genehmigte sowie medizinisch wertvolle Fortbildungen und Forschungsprojekte handelt, sieht der Senat dazu keinen Handlungsbedarf.“ (7) Echter Einsatz sieht anders aus. Hier muss die Politik, wie an so vielen anderen Stellen, erheblich nachbessern. 

Unterschiede zwischen Tier und Mensch

Immer wieder werden von den Tierversuchsbefürwortern Ähnlichkeiten angeführt; Unterschiede werden selten diskutiert, wobei diese nicht von der Hand zu weisen sind.

Insbesondere bei der Thoraxchirurgie werden Schweine verwendet, obwohl diese in der Literatur im Allgemeinen als schlechtes Modell für den Menschen bewertet werden (8). In weiteren Publikationen wird speziell auf den kurzen und schmalen Brustkorb hingewiesen (2). Das Herz eines Schweins hat eine andere Form als das des Menschen, darüber hinaus bestehen einige physiologische Unterschiede: Der linke Vorhof des Schweins hat nur zwei Venen, während beim Menschen vier Venen zu finden sind. Ein auffälliges Muskelband ist im rechten Ventrikel des Schweins an einer sehr viel höheren Position lokalisiert als beim Menschen (9).

Da solche Eigenschaften als Orientierungspunkte dienen können, besteht die Gefahr, dass diese falsch erlernt werden. Auch die Verteilung und Größe der nieren-arteriellen Segmente sind beim Schwein ganz anders – um nur einige Beispiele zu nennen (10). Generell unterscheidet sich die menschliche Aorta von tierischen in Gefäßgeometrie, Größe und physiologischen Bedingungen (11).

Schafe würden im Lungensystem angeblich dem Menschen ähnlicher sein, aber auch hier werden in der Literatur mehrere Unterschiede genannt. Insbesondere die rechte Lunge unterscheidet sich von der des Menschen; die Hohlvene ist größer und das Arteriengeflecht ist dahinter lokalisiert. Der obere Lungenlappen hat zudem einen eigenen Luftröhrenzugang (8).

Aber auch ohne diese Unterschiede gäbe es keinen Grund, Tiere als OP-Modelle zu benutzen – insbesondere, weil es bereits unzählige Methoden und Modelle gibt, die die menschliche Anatomie darstellen und so angehende und erfahrene Chirurgen im richtigen System lernen können.

Sinnvolle chirurgische Trainingsmethoden

Menschliche Leichen

Hier handelt es sich um menschliche Leichen von freiwilligen Körperspendern, die zu Lebzeiten eingewilligt haben, ihre Körper nach ihrem natürlichen Tod der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, Körper zu konservieren. Die wohl geeignetste Methode ist als Thiel-Verfahren bekannt, bei der die natürliche Farbe, Elastizität und Eigenschaften der einzelnen Gewebe erhalten bleiben und so ein maximal originales OP-Erlebnis geboten wird (12). Der Vorteil besteht zudem darin, dass fast jedes OP-Verfahren jedweder Fachrichtung trainiert werden kann. 

Zur Steigerung der Realität kann der Körper an eine Pumpe angeschlossen werden, sodass ein künstlicher Blutfluss und -druck erzeugt wird. Beides kann auch variiert werden, um verschiedene physische oder pathologische Zustände zu simulieren. Die Temperatur ist ebenfalls anpassbar. Endovaskuläres Training oder auch endovaskuläre Medizinprodukte können so in einem anatomisch korrekten System realistisch durchgeführt und getestet werden. Da viele Eingriffe unter einer Bildgebung mittels Fluoreszenzfarbstoffen durchgeführt werden, ist diese Methode auch dafür sehr gut geeignet (11).

Sämtliches Zubehör, um diese Leichen als Modell aufzuarbeiten, kann kommerziell als Set erworben werden; inzwischen sind auch Blutlösungen möglich, die die Blutgerinnung korrekt imitieren und die Farbe des Blutes, je nach Umweltbedingungen, ändern. Die Leiche ist sogar mehrfach über einen Zeitraum von 2 Wochen wiederverwendbar. Mit diesen Modellen ist es zudem möglich, Amputationen zu üben (13).

Physische Modelle

Hierbei handelt es sich um künstliche Modelle, die den Körper des Menschen oder bestimmte Teile davon anatomisch korrekt nachbilden. Es werden unterschiedliche Materialien eingesetzt, um die verschiedenen Gewebe des Menschen möglichst realitätsgetreu nachzubilden.

Sehr bekannt ist der TraumaMan, welcher für Notfall-Trainings eingesetzt wird (14), also bei simulierten Unfällen, bei denen sehr schnelles Handeln des gesamten Notfalleinsatz-Teams gefragt ist. Es können verschiedene Komplikationen vorab eingestellt werden; zudem kann ein künstlicher Blutkreislauf erzeugt werden, sodass bei Schnitten oder Fehlern es zu realistischen Blutungen kommen kann. Der modulare Aufbau aus Kopf, Ober- und Unterkörper kann als Gesamtes oder es kann auch nur ein Körperabschnitt genutzt werden. Austauschbare Materialien bieten so jedem Kursteilnehmer die Möglichkeit, jeden Handgriff selbst durchzuführen. In den USA wird das Modell bereits seit 2001 für ATLS-Training (Advanced Trauma Life Support Training; fortgeschrittenes Lebensrettungs-Training) eingesetzt. 

Traumaman
Oberkörper des TraumaMan (©Skills Med Deutschland GmbH)

Manche Anbieter haben sich auch spezialisiert. Die Firma Gaumard bietet z.B. eine große Auswahl an Simulationsmodellen für Geburtshilfe, Neonatalogie und Pädiatrie an. (15)

Speziell für das Training von Medizinern, die für den Einsatz in Krisengebieten vorbereitet werden sollen, gibt es Vorrichtungen wie den „Cut Suit“, mit dem Kriegsszenarien realistisch von Personen nachgestellt werden. Es handelt sich um eine Art künstlichen, etwas dünneren Oberkörper, in dem sich die entsprechenden Organe und Kunstblut befinden. Mittels Befestigungen kann dieser einem Darsteller umgeschnallt und vor dem (eigentlichen) Körper getragen werden. So können die relevanten kriegerischen Notfallsituationen wie Blutverlust und Organverletzungen simuliert und trainiert werden (16).

Cut Suit
Mit dem Cut Suit können realistische Kriegsverletzungen nachgestellt werden (©www.strategic-operations.com)

Die US-amerikanische Firma SynDaver bietet eine sehr lebensechte „Puppe“ in menschlicher Original-Größe an, die aus verschiedensten Materialien in aufwändiger Handarbeit hergestellt wird. Viele der Materialien werden im Haus selber entwickelt und hergestellt, um die größtmögliche Ähnlichkeit zu menschlichem Gewebe zu kreieren.

Die Modelle enthalten ein Muskel-, Skelett-, Herz- und Gefäßsystem, auch das Fasziengewebe sowie viele Elemente des Nervensystems. Ebenso sind die Atemwege, der Magen-Darm-Trakt und der Urogenitaltrakt vorhanden. Hier ist das Training verschiedenster Operationen möglich, etwa Darmresektion (Darmteilentfernung), Blinddarm-OP, Angioplastie (Erweiterung eines verengten Blutgefäßes) und auch Platzierung von Stents mithilfe von Fluoroskopie. Gliedmaßen und verschiedene innere Organe sind auch einzeln erhältlich (17).

Lebensechtes Modell von SynDaver
Lebensechtes Modell von SynDaver (©SynDaver)

Mit dem 3D-Druck können patientenspezifische Körperteile wie Herzen nach CT-Scan-Vorlagen gedruckt werden, an denen OPs besser geplant werden können. Gefäßmodelle können in gesunder oder krankhaft veränderter Form als Modell gedruckt werden wie auch das gesamte Knochensystem (18) (19).

Das „Hamburger Anatomische neurointerventionelle Simulationsmodell“ (HANNES) setzt dies bereits erfolgreich um: Die Aus- und Weiterbildungskurse für Behandlungen von Aneurysmen (Aussackungen von Blutgefäßen, die lebensbedrohlich werden können) werden bereits an patientenspezifisch gedruckten 3D-Modellen trainiert. So können Mediziner verschiedene pathologische Fälle beliebig oft trainieren (20).

Virtuelle Simulationen

Das an die Flugsimulatoren für Pilotenausbildungen angelehnte Prinzip wird mittels Computerprogrammen realisiert. Die Fortschritte in der virtuellen Technologie erlauben so realistische Darstellungen, dass diese kaum noch von realen OP-Videos zu unterscheiden sind. Letztere können in manche Module integriert werden.

Dieser Bereich ist insbesondere für das Training minimalinvasiver Operationen geeignet. Hier lässt sich die ganzen Bandbreite dieser Eingriffe besonders gut darstellen, da bei dieser OP-Technik nicht durch große Schnitte in Bauch,  Brustkorb oder Gelenk an den Ort der eigentlichen Operation gelangt wird, sondern es werden lediglich mehrere kleine Einschnitte an strategisch sinnvollen Stellen des Körpers vorgenommen. Durch diese Öffnungen werden speziell für diese OPs geeignete Instrumente sowie Kamera mit Lichtfunktion in den Körper eingebracht; der Chirurg verfolgt und orientiert sich mittels der Bilderübertragung der Kamera und führt die OP „am Bildschirm“ durch. Die meisten OPs werden inzwischen mit diesen Verfahren geplant, da diese weniger invasiv sind und daher die Überlebenschancen der Patienten steigen sowie die Heilungszeit sich teilweise deutlich verkürzt (21).

Virtuelle Simulation für Operationsübungen
Mit virtueller Simulation können Operationen z.B. in der minimalinvasiven Chirurgie geübt werden. 

Diese Systeme können, wie bei SurgicalScience, aussehen wie ein Kasten mit Bildschirm und sogar so kompakt gestaltet sein, dass diese transportierbar sind. Verschiedene Programme können eingestellt werden – so können Anfänger zunächst die Basistechniken wie Nähen und Abklemmen üben. Für weitergehende Übungen stehen auch Original-OP-Videos zur Verfügung, sodass die jeweilige Prozedur zunächst anschaulich durchgespielt wird, bevor der eigene Übungs-Kurs startet, der wahlweise von interaktiven Hinweisen begleitet werden kann. Module für Gallenblasen-OPs, Lungenlappen-Entfernung, Gebärmutterentfernung, Hernienchirurgie und viele weitere Prozeduren stehen zur Verfügung. Vorteil ist, dass nicht ständig ein Kursleiter beim Übenden sein muss, sondern die Kursteilnehmer können unabhängig von der Betreuung und in ihrem eigenen Tempo die Techniken so oft üben, bis sie diese sicher beherrschen (22).

Inzwischen gibt es diese Systeme für bestimmte Basistechniken sogar für „unterwegs“ und zum Anschließen an das eigene Smartphone, falls auf Dienstreise abends im Hotel noch Fingerfertigkeiten trainiert werden möchten (23).

Diese virtuellen Module können auch mit einem physischen Modell kombiniert werden. Hier wird ein Teil des Körpers mit synthetischen Materialien dargestellt, beispielsweise ein Knie, in das dann chirurgische Instrumente eingeführt werden und die eigentliche Operation virtuell am Bildschirm mittels eines entsprechenden Computermoduls durchgeführt und geübt werden kann (24).

Arthro Knee zum Üben von Operationen am Knie
Arthro Knee zum Üben von Operationen am Knie (©Simbionix ARTHRO Mentor from 3D Systems)

Das Besondere an diesen virtuellen Modellen und den OP-Übungen ist, dass die Haptik realistisch ist – unterschiedliche Gewebe bieten den Instrumenten unterschiedliche Widerstände, die von den Programmen so umgesetzt werden, wie sie sich bei einem realen invasiven Eingriff verhalten würden. In sehr weiche Gewebe, die empfindlich und schnell verletzbar sind, lässt das Programm die Instrumente entsprechend schneller eindringen. Festere Strukturen benötigen mehr Kraftaufwand.

Der Schwierigkeitsgrad der OPs kann ebenfalls an das Lernniveau angepasst werden. Da jeder menschliche Körper einzigartig ist, gibt es viele verschiedene anatomische Darstellungen, sowohl von gesunden als auch von krankhaft veränderten Geweben und Strukturen. Diese zeigen die Bandbreite, auf die Ärzte vorbereitet sein müssen. 

Nordic Simulators bietet maßgeschneiderte, virtuelle 3D-Szenarien an, die um die eigentliche Notfallmaßnahme am menschlichen Modell stattfinden: Auf eine gebogene Videoleinwand können Krisensituationen wie Massenkarambolagen visuell dargestellt werden; ein Soundsystem vermittelt einen realistischen Eindruck der Situation und verstärkt das realitätsnahe Setting. Mediziner und medizinisches Personal sind in solchen Fällen extremen Stress ausgesetzt, sodass sicheres Handeln auch in sehr herausfordernden Situationen trainiert werden kann (25).

Weniger relevant für chirurgische Kurse, aber interessant für Medizin-Studenten als Alternative zu Leichenöffnungen sind virtuelle Seziertische. Diese sind optisch an OP-Tische angelehnt, haben eine Touch-Screen-Oberfläche und bieten verschiedenste Ebenen, in die auch hereingezoomt werden kann. Über 1.000 pathologische Fälle bieten umfassendes Lehrmaterial. Ein Radiologie-Modul bietet weitere bildgebende Verfahren als Ansicht (26).

Anatomie-Software für zuhause gibt es ebenso; teilweise ist diese sogar kostenfrei (27,28). Aber auch auf dem Smartphone kann in Bus und Bahn gelernt werden: mit dem Human Body Atlas oder mit Complete Anatomy gibt es inzwischen sogar Apps (29,30).

P.O.P.-Trainer 

Es handelt sich um eine Art Plastikkasten, in dem sich ein einzelnes Organ befindet, welches oft mittels einer Pumpe mit künstlichem Blut durchspült wird. Bei dem auch als P.O.P.-Trainer (= pulsatile organ perfusion; pulsierende Organdurchblutung) bezeichneten System werden über Öffnungen Instrumente eingeführt. So können Fertigkeiten erlernt werden, die für die minimalinvasive Chirurgie („Schlüsselloch-Chirurgie“) nötig sind, bei der durch natürliche Körperöffnungen oder vorgenommene kleine Schnitte Instrumente und eine Kamera in den Körper eingeführt und die Geräte über einen Bildschirm gesteuert werden.

Achtung: Die Organe sind meist Abfälle von Schlachthöfen. Immerhin werden Tiere normalerweise dafür nicht extra getötet, aber die anatomischen Unterschiede kommen selbstverständlich auch hier zum Tragen. Wenn argumentiert wird, dass Organe, die von Tieren stammen, die sowieso getötet wurden, noch einem sinnvollen Zweck zugeführt werden, muss bedacht werden, dass es diesen Organ-Überschuss nur deswegen gibt, weil die Nachfrage nach Fleisch als Nahrungsmittel so hoch ist. Zielführend ist dies daher weder aus ethischen noch wissenschaftlichen Gründen. 

Es ist aber ebenso möglich, die Box mit humanen Modellen aus verschiedenen synthetischen Materialien zu bestücken. Es sind verschiedene, mehrfach verwendbare Organe wie den kompletten Darmtrakt oder ein Konstrukt, an dem die Gallenblasenentfernung geübt werden kann (31).

Durch die anatomisch korrekten Landmarken ist es eine humanrelevante und mit Verwendung dieser Techniken eine ethisch vertretbare Trainingsmethode.

Es gibt noch weltweit viele weitere Modelle jedes hier vorgestellten Prinzips, die für diese Übungszwecke angeboten werden. Eine Übersicht bietet die NAT-Database unter www.nat-database.de

Besserer Lernerfolg – humanrelevant, ethisch einwandfrei 

Zahlreiche Publikationen zeigen, dass der Lernerfolg mit nichttierischen Modellen gleichwertig und oft sogar besser ist. Natürlich gilt auch hier, für die jeweilige zu erlernende Prozedur das passende Modell zu identifizieren. Für Eingriffe in den Atemwegen sind virtuelle Modelle besser geeignet (8), bei urologischen OPs empfanden die Kursteilnehmer menschliche Leichen als ideales Trainingsmodell (32,33). Dieses ist auch die beste Option, wenn es um das Erlernen sogenannter offener Operationen geht, die z.B. eine Öffnung des Brustkorbs erfordern (21).

Immer wieder werden in Publikationen die menschenrelevanten Methoden mit Tierversuchen verglichen – zwar werden Vorteile wie realistische OP-Situation und ähnliche Anatomie genannt, aber die Einschränkungen folgen recht schnell: Ähnlichkeiten mit der menschlichen Anatomie sind oft vereinzelt und auf bestimmte Bereiche beschränkt, zudem sind diese mit hohen Kosten für die Aufbereitung und ethischen Bedenken verbunden. Zudem muss grundsätzlich ein Betreuer die Übungen verfolgen und viele Eingriffe können nur einmalig durchgeführt werden. Dies ist insbesondere von Bedeutung, da geschätzt wird, dass angehende Chirurgen mindestens 100 einzelne Übungen durchführen müssen, um die Basisfertigkeiten zu erlernen (8).

Die angeblichen Limitierungen der tierfreien Systeme, die in der Literatur beschrieben werden, beziehen sich meist auf Kosten oder das Fehlen bestimmter Software-Module, die teilweise noch als ausbaufähig eingeschätzt werden. Dies sind aber keine Hindernisse, die davon abhalten können und dürfen, auf Tiere in chirurgischen Kursen zu verzichten. Software-Module können in überschaubarer Zeit erstellt werden und je häufiger Simulatoren zum Einsatz kommen, desto kostengünstiger werden diese. 

Manche Anbieter begründen den Tiermodelleinsatz tatsächlich mit knapper werdenden zeitlichen und finanziellen Ressourcen (34), was ein klarer Verstoß gegen das Tierschutzgesetz ist, wo es heißt: „[…] Schmerzen, Leiden oder Schäden dürfen den Tieren nur in dem Maße zugefügt werden, als es für den verfolgten Zweck unerlässlich ist; insbesondere dürfen sie nicht aus Gründen der Arbeits-, Zeit- oder Kostenersparnis zugefügt werden. […]“ (4)

Wohin man den Fokus auch richtet: Es besteht kein wissenschaftlich-medizinischer und schon erst recht kein ethischer Grund, auf den Tierverbrauch in der chirurgischen Weiterbildung zu verzichten. Im Gegenteil – es sind nur Vorteile zu erwarten. 

Dass dies alles keine Utopien sind, zeigt die Situation in den USA: Dort arbeiten bereits drei Viertel der Chirurgie-Programme tierfrei – Tendenz weiterhin steigend. Medizinstudenten lernen während ihrer universitären Ausbildung inzwischen völlig tierfrei. Dies wurde auch vor allem durch die Arbeit der Ärzte-Vereinigung Physicians Committee for Responsible Medicine (PCRM) erreicht, die diesbezüglich seit Jahrzehnten intensive Aufklärungsarbeit leistet (35).

Dies nehmen wir uns als Vorbild für unsere Kampagne, mit der wir Kursanbieter darauf aufmerksam machen, dass der Einsatz von humanrelevanten Trainingsmethoden für den Bereich der Chirurgie erste und beste Option ist – und unser Leitsatz auch in diesem Fall gilt: im Interesse von Mensch und Tier. 

29. März 2021
Dipl. Biol. Julia Radzwill 

Sie können helfen!

Sind Sie Chirurg oder Notfallarzt? Dann unterstützen Sie bitte unser Projekt, indem Sie Kursanbieter anschreiben und auffordern, auf tierverbrauchende Übungen zu verzichten. Wir bedanken uns für Ihre Mithilfe!

Weitere Informationen

Übersicht über Kursanbieter mit und ohne Tierverbrauch. ÄgT Journal 1/2021 (PDF)

Tierverbrauch im Studium und tierversuchsfreie Lehrmethoden >>

InterNICHE - International Network for Humane Education >>

 

Link zum Video "Es sind doch nur Schweine – warum Tierversuche in der chirurgischen Aus- & Fortbildung unsinnig sind"
Kurzvideo „Es sind doch nur Schweine – warum Tierversuche in der chirurgischen Aus- & Fortbildung unsinnig sind“ >>

Quellen

  1. Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie. 13. Operationskurs -Techniken der fortgeschrittenen Thoraxchirurgie. 2020
  2. Tedde ML, Brito Filho F et al. Video-assisted thoracoscopic surgery in swine: an animal model for thoracoscopic lobectomy training. Interact Cardiovasc Thorac Surg. 2015; 21(2):224–30
  3. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Versuchstierdaten 2019
  4. Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Tierschutzgesetz. Fassung vom 18.05.2006, zuletzt geändert am 19.06.2020
  5. Bund für Risikobewertung. Richtline 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendete Tiere.
  6. BMEL Pressemitteilung. Mehr Schutz für Versuchstiere. 20.01.2021
  7. Senat von Berlin. Kleine Anfrage Bündnis 90/Die Grünen 17/12695 vom 26.09.2013
  8. Haidari T, Konge L. et al. Simulation for the video-assisted thoracic surgery surgeon. Video-Assisted Thoracic Surgery 2019; 4(12)
  9. Crick SJ, Sheppard MN et al. Anatomy of the pig heart: comparisons with normal human cardiac structure. J Anat 1998; 193(1);105–19
  10. Pereira-Sampaio M, Favorito LA et al. Proportional analysis of pig kidney arterial segments: differences from the human kidney. J Endourol. 2007; 21(7):784–8
  11. McLeod H, Cox BF et al. Human Thiel-Embalmed Cadaveric Aortic Model with Perfusion for Endovascular Intervention Training and Medical Device Evaluation. Cardiovasc Intervent Radiol. 2017; 40(9):1454–60
  12. Thiel W. The preservation of the whole corpse with natural color. Ann Anat. 1992; 174(3):185–95
  13. Maximum Fidelity Surgical Simulations. Hyper-realistic surgical simulator.
  14. Simulab Corporation. TraumaMan Surgical Simulator
  15. Gaumard. Simulators for Health Care Education
  16. Strategic Operations. Medical Simulation Products
  17. SynDaver. SynDaver Surgical Model
  18. Stratasys Direct. Anatomical Model 3D Print
  19. OS Implants. Anatomical Model
  20. Informationsdienst Wissenschaft. Pressemitteilung. Alternative zum Tierversuch: TUHH-Forschende entwickeln neues Trainingsmodell für Aneurysmabehandlungen. 20.01.2020
  21. Konge L, Petersen RH, Ringsted C. Developing competency in video-assisted thoracic surgery (VATS) lobectomy. J Thorac Dis. 2018; 10(17):S2025–8
  22. Symbionix. Healthcare LAP-brochure. 2020
  23. eoSurgical. Evidence based training.
  24. Simbionix. ARTHRO Mentor Broschüre 2019
  25. Nordic Simulators. Simulation Centers Design & Consulting
  26. Anatomage Table Deutschland
  27. Zygote Body 3D Anatomy Online Visualizer. Human Anatomy 3D
  28. BioDigital. Interactive 3D Anatomy - Disease Platform
  29. Visible Body App. Virtuelle Anatomie für Einblicke in den menschlichen Körper
  30. 3D4Medical App. 3D Human Body Atlas
  31. Simulab Corporation. Laparoscopic Trainers
  32. Healy SE, Rai BP et al. Thiel embalming method for cadaver preservation: a review of new training model for urologic skills training. Urology. 2015; 85(3):499–504
  33. Soler-Silva Á, Sanchís-López A et al. The Thiel cadaveric model for pelvic floor surgery: Best rated in transferable simulation-based training for postgraduate studies. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol. 2021; 256:165–71
  34. Rudolf-Zenker-Institut für Experimentelle Chirurgie. Viszeralchirurgie Kompakt. März 2020
  35. Physicians Committee for Responsible Medicine. Surgery Training