Studie belegt: Kein Nachweis über angeblichen Nutzen von Tierversuchen
12. Juni 2014
Den Autoren einer im Mai 2014 in der medizinischen Fachzeitschrift British Medical Journal veröffentlichten Studie zufolge fehlt der Nachweis über den Nutzen von Tierversuchen und Gelder, die in die tierexperimentelle Forschung investiert werden, bleiben einer für Mediziner und Patienten sinnvollen Forschung vorenthalten.
Als Kernaussagen formulieren die Autoren,
- dass die Durchführung, Veröffentlichung und Darstellung von tierexperimenteller Forschung unzureichend ist
- die Situation unethisch ist, da Tiere und Menschen Teil eines Wissenschaftssystems sind, das keine verlässlichen Ergebnisse liefert
- der systematische Nachweis über den klinischen Nutzen von Tierversuchen mangelhaft ist
- eine größere Genauigkeit und Rechenschaftspflicht notwendig ist, um die sinnvollste Verwendung öffentlicher Gelder zu gewährleisten.
In der aktuellen Studie wurde die Literatur nach Hinweisen für den klinischen Nutzen von Tierversuchen durchforstet. Nur 25 Übersichtsarbeiten (Reviews) wurden gefunden, die die These untermauern, dass die tierexperimentelle Forschung eine medizinische Relevanz hat und selbst diese wenigen Veröffentlichungen ließen Zweifel an der Qualität und Aussagekraft aufkommen. Belege dafür würden sich häufen, dass mit Tierversuchen, wenn überhaupt, nur sehr dürftig Vorhersagen für den Menschen getroffen werden können.
Eine Auswertung des britischen Nationalen Zentrums für Ersatz, Verfeinerung und Verminderung von Tierversuchen (NC3Rs) hatte 271 Tierversuche, die zwischen 1999 und 2005 durchgeführt wurden, unter die Lupe genommen. Es zeigte sich, dass nur bei 32 der 271 Versuchen (12 %) der tierexperimentellen Arbeiten anerkannte Methoden des Studiendesigns angewendet wurden.
Eine Metaanalyse untersuchte systematisch Tierversuche hinsichtlich ihres Nutzens für den Menschen in den Bereichen Schlaganfall, neurologische Erkrankungen, Knochenkrebs, Multiple Sklerose und Parkinson. John Ioannidis, Professor für Gesundheitsforschung an der Stanford Universität, folgerte aus dieser Analyse, dass es nahezu unmöglich ist, sich auf Tierversuchsdaten zu verlassen, um das Nutzen-Risiko-Verhältnis für den Menschen vorherzusagen.
Zahlreiche Studien lassen den Rückschluss zu, dass selbst Ansätze, die sich im Tierversuch als sehr vielversprechend gezeigt haben, in der klinischen Studie am Menschen versagen und keine praktische Anwendung daraus resultiert. Beispielsweise zeigt eine Auswertung, dass weniger als 10 % der als vielversprechend erscheinenden Entdeckungen aus der Grundlagenforschung innerhalb von 20 Jahren zu klinischen Anwendungen führen. So folgte aus jahrzehntelanger Schlaganfallforschung und enormen Investitionen keine einzige Therapie für den Menschen. Ähnlich bei Versuchen an einem „etablierten Mausmodell“ zur amyotrophen Lateralsklerose (Erkrankung des motorischen Nervensystems). Von über 100 Wirkstoffen, die sich im „Tiermodell“ als wirksam erwiesen haben, wurden 92 im weiteren Verlauf der Medikamentenentwicklung aussortiert. Die verbleibenden acht Medikamente wurden an Tausenden Probanden getestet, mit dem Ergebnis, dass sie nicht die erwartete therapeutische Wirkung hatten.
Die Autoren äußern, dass bei der großen Anzahl durchgeführter Tierversuche die Übereinstimmung einzelner Ergebnisse mit denen am Menschen purer Zufall ist. Sie gehen der Frage nach, ob eine bessere Qualität bei der Durchführung von Tierversuchen mehr Nutzen für den Menschen bringen würde. Mit Blick auf Studien, die diesem Anspruch genügen, zeigt sich jedoch unter anderem bei der Schlaganfallforschung, dass auch nach 10 Jahren keine klinisch relevanten Rückschlüsse gezogen werden konnten.
Ein Projekt an einer englischen Universitätsklinik zielte darauf ab, mit einer besseren Schulung der Experimentatoren die Übertragbarkeit von Tierversuchsergebnissen auf den Menschen zu verbessern. Allerdings zeigte sich, dass die Motivation der Grundlagenforscher vielmehr in der wissenschaftlichen Entdeckungslust begründet lag als in der Absicht, klinisch anwendbare Erkenntnisse zu erlangen.
Die Autoren der Studie bezeichnen die bestehende Situation als unethisch und kritisieren, dass schlechte Versuchsdesigns und methodische Ungenauigkeit bei vorklinischen Tests dazu führen, dass darauffolgende klinische Studien am Menschen versagen, Probanden potentiellen Risiken ausgesetzt werden und uns nützliche Therapien möglicherweise vorenthalten bleiben. Zudem sei es ethisch nicht zu rechtfertigen, Tieren in Versuchen, die ungenau durchgeführt werden und keine verlässlichen Ergebnisse liefern, Leid zuzufügen. Ebenso unethisch sei die Nicht-Veröffentlichung von Tierversuchsergebnissen, da dies dazu führe, dass Kenntnisse vorenthalten bleiben und folglich unnötigerweise weitere Tierversuche durchgeführt werden.
Originalveröffentlichung
Pandora Pound, Michael B. Bracken: How predictive and productive is animal research? BMJ 2014; 348:g3719
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