Aspirin schwer gesundheitsschädlich für Tiere, nicht aber für Menschen
4. August 2015
Am Beispiel von Aspirin zeigt der Autor einer in der im Wissenschaftsjournal ATLA veröffentlichten Studie, dass Tierversuche kontraproduktiv sind, da sie Wirkungen am Menschen falsch voraussagen.Den 110. Jahrestag der Markteinführung von Aspirin nutzte der Toxikologe Thomas Hartung, um Kritik an den Methoden der Sicherheitsbeurteilung von Arzneimitteln zu üben, denn in keinem anderen Fachgebiet der Biowissenschaften werden noch heute dieselben Experimente durchgeführt wie vor 40 bis 60 Jahren.
Wären Tierversuche 1899 bereits Standardmethode zur Risikobewertung von neuen Arzneimitteln gewesen, ist es nach Aussage des Autors sehr unwahrscheinlich, dass es Aspirin überhaupt bis zu den klinischen Studien (d. h. Studien mit freiwilligen, gesunden Probanden bzw. Patienten) geschafft hätte. Denn das Risikoprofil von Aspirin klingt nicht gerade vielversprechend:
- gesundheitsschädlich beim Verschlucken
- reizt die Augen, Atmungsorgane und Haut
- nicht krebserregend, aber -fördernd mit unklarer erbgutschädigender Wirkung
- embryonale Fehlbildungen bei Katze, Hund, Affe, Maus, Kaninchen und Ratte
- Trotz angeblicher erbgutschädigender Wirkung und Nachweis von Missbildungen bei verschiedenen Tierarten wird Aspirin heutzutage u.a. Schwangeren verabreicht, die unter Präeklampsie leiden (Bluthochdruckerkrankung in der Schwangerschaft mit vermehrter Proteinausscheidung). Und das zu recht, denn eine Metaanalyse (statistische Analyse verschiedener vorangegangener Studien) konnte zeigen, dass bei Menschen kein erhöhtes Risiko für Missbildungen besteht.
Ähnliche Diskrepanzen bestehen bei vielen gut bekannten und viel verschriebenen Arzneimitteln; Paracetamol beispielsweise ist krebserregend bei Nagern; beim Menschen konnte diese Wirkung nicht festgestellt werden.
Dies führt den Autor zu drei wesentlichen Kritikpunkten des 3R-Prinzips. Die drei R stehen für „Replace, Reduce, Refine“ und sollen einen Ansatz darstellen, um Tierversuche in der Forschung zu ersetzen, zu reduzieren bzw. das Leid der Tiere zu verringern. Hartung fügt noch ein viertes R hinzu: Realismus. Und er wagt den Realitätscheck der heutzutage gängigen Substanz-Testung, die für die Marktzulassung Tierversuche als „Sicherheitsprüfung“ vorschreibt, ohne dass Tierversuche jemals auf ihre Aussagekraft hin überprüft worden sind.
Erster Realitätscheck: REACH: Die EU Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) hat zum Ziel, nur noch Chemikalien in Umlauf zu bringen, die zuvor registriert und geprüft worden sind. Die meisten Daten werden dazu mit Hilfe von Tierversuchen gewonnen. Initial wurden ca. 180.000 Vorregistrierungen von 27.000 Firmen für 30.000 Substanzen erwartet. Am Ende der Vorregistrierungsphase im Dezember 2008 lagen die Zahlen wesentlich höher (2,7 Mio. Vorregistrierungen von 65.000 Firmen für 144.000 Substanzen). Das REACH-System ist mit derzeitigen Toxikologie-Methoden nicht zu bewältigen, so der Autor. Eine Erweiterung des Programms sei demnach unvermeidlich und es gäbe keine Möglichkeit, dies ohne Alternativmethoden zu erreichen.
Zweiter Realitätscheck: Die Eignung der derzeitigen Toxikologie Tierversuche sind auch im 21. Jahrhundert noch „Goldstandard“ bei der Risikobeurteilung von Arzneimitteln, und das, obwohl die Vorhersagekraft von Tierversuchen nie validiert worden ist. D. h. bisher wurde nicht überprüft oder gar nachgewiesen, ob Tierversuche überhaupt geeignet sind, um Reaktionen des menschlichen Organismus (z. B. Reaktionen auf Arzneimittel) ausreichend sicher vorherzusagen. Dennoch werden neue (tierversuchsfreie) Methoden an Tierversuchen gemessen. Ca. 70% der entwickelten tierversuchsfreien Tests scheitern an der Validierung. Hartung schlägt daher eine evidenzbasierte Toxikologie vor, ähnlich der evidenzbasierten Medizin, d. h., eine Wissenschaft, die sich auf empirische Belege, auf systematische und beweisbare Datenerhebung stützt. Die derzeitigen Mittel der Toxikologie sind nicht für die anstehenden Herausforderungen geeignet, folgert der Autor.
Dritter Realitätscheck: Die Eignung der derzeitigen „alternativen“ Ansätze (3R) und deren Integration in die Toxikologie. Das Einführen „alternativer“ Testmethoden sollte nach Aussage des Autors genutzt werden, um Tierversuche und Tierleid zu vermindern. Solange jedoch weiterhin an der Denkweise festgehalten wird, einen Tierversuch direkt durch eine andere Methode zu ersetzen, können artspezifische Unterschiede und damit die begrenzte Aussagekraft nicht überwunden werden. Daher sei es nötig, über neue Referenzen (Vergleichs-/Bezugssysteme) für die Validierung nachzudenken, statt an der Toxikologie der Vergangenheit zu hängen.
Quelle:
Hartung T.: Per aspirin ad astra; ATLA 2009 (37): 45-47