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Wie viele Tiere leiden in Berliner Laboren?

Laut Statistik des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wurden 2019 in Berlin 188.602 Tiere verwendet. Mit einem Anteil von 6,5 % der Gesamtzahl in Deutschland (2.902.348 Tiere) belegt Berlin damit den 6. Platz (1).

Trotz eines leichten Rückgangs in den letzten Jahren, bleiben die Tierzahlen in Berlin damit weiterhin hoch und sind nicht mit der Ankündigung im Koalitionsvertrag von 2016, dass Berlin „zur Forschungshauptstadt für Ersatzmethoden“ werden soll zu vereinbaren (2).

Noch dazu sind diese Zahlen nicht einmal vollständig, da die Statistiken z.B. sogenannte Überschusstiere, also jene Tiere, die gezüchtet und getötet werden, aber nicht in Versuchen verwendet werden, nicht mit aufführen. 2017 betraf das in Berlin insgesamt 833.339 Tiere, die in den Statistiken völlig unerwähnt bleiben (3).

Wie auch im bundesweiten Vergleich, werden in Berlin hauptsächlich Mäuse und Ratten in Tierversuchen verwendet. Aber auch zahlreiche Hühner, Fische, Rennmäuse (Gerbils), Kaninchen, Meerschweinchen, Hunde und Tiere anderer Arten lassen in Berlins Laboren ihr Leben (1).

Grafik Tierversuchszahlen in BerlinGrafik 1: Anzahl der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (d.h. Tierversuche + zu wissenschaftlichen Zwecken getöteten Tiere) 2019 in Berlin (1).

Welches Leid wird den Tieren angetan?

2019 wurde erstmals eine Übersicht über die Schweregrade, denen die Tiere ausgesetzt werden, vom BMEL veröffentlicht. Als Schweregrade sind vorgegeben:

  • keine Wiederherstellung der Lebensfunktionen (z.B. Tod in Narkose)
  • gering
  • mittel
  • schwer

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Zuordnung vom Experimentator selbst vorgenommen wird - eine Zuniedrigeinstufung ist also wahrscheinlich.

Die Versuche mit dem Schweregrad „mittel“ (40.494) und „schwer“ (1.924) machen dabei über 30%, also fast ein Drittel der insgesamt 134.598 Tiere aus (4). Zu den 134.598 in Tierversuchen verwendeten Tieren kommen noch 54.004 Tiere, die zu „wissenschaftlichen Zwecken“ getötet wurden, beispielsweise, um Organe oder Gewebe zu entnehmen, ohne dass vorher ein Experiment an ihnen gemacht wurde (1).

Welche Tierlabore gibt es in Berlin?

Nach Angaben des Landesamts für Gesundheit und Soziales gibt es insgesamt 57 Einrichtungen in Berlin, in denen Tierversuche durchgeführt werden (5).

In unserer Adressliste führen wir Details zu Einrichtungen der drei Universitäten und insbesondere der Charité – Universitätsmedizin auf und kommen so auf insgesamt 155 tierexperimentelle Einrichtungen. Die Adressliste beruht auf Einträgen in unserer Datenbank, Stellenageboten für Tierexperimentatoren sowie Behördenangaben.

In unserer Übersicht der Tierversuchshochburgen Deutschlands steht Berlin an zweiter Stelle nach München.

Grafik zu Tierversuchslaboren in BerlinGrafik 2: Die größten Tierversuchseinrichtungen in Berlin gemessen an den maximalen Haltungskapazitäten (5).

Infos zu ausgewählten Laboren

Charité – Universitätsmedizin Berlin

Tierlabore in Berlin: Charité

Die Charité besitzt in Berlin verschiedene Forschungseinrichtungen (laut LaGeSo 14) in denen Tierversuche durchgeführt werden. Die Schwerpunkte der Forschung liegen unter anderem bei Infektionen, Immunität, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Onkologie, Neurowissenschaften und seltenen Erkrankungen (8). Größtenteils betrifft das Mäuse und Ratten (2020: 98,7 %). Für die Grundlagenforschung sind es vor allem Fische, für Herz-Kreislauferkrankungen eher Schafe, Schweine, Meerschweinchen und Kaninchen (9). In den Einrichtungen der Charité können bis zu 60.000 Mäuse zeitgleich gehalten werden (5). Damit ist die Charité das größte Tierversuchslabor in Berlin.

Beispiel für einen Tierversuch: Für Untersuchungen zu Implantaten für den Bewegungsapparat werden Schafen operativ über ein gebohrtes Loch in den Oberschenkelknochen Metallimplantate mit unterschiedlichen Beschichtungen eingesetzt. Nach drei Monaten werden alle Tiere (bis auf eines, das bereits vorher wegen anhaltender Lahmheit getötet wurde) getötet und die Kniegelenke untersucht (10).

Bayer AG

Tierlabore in Berlin: Bayer

Müllerstraße 178, 13353 Berlin

Im Bereich der Forschung ist der Berliner Standort für Bayer besonders bedeutend. Die Schwerpunkte liegen vor allem im Bereich der Onkologie und Gynäkologie (Frauengesundheit).

2020 wurden insgesamt 95.010 Tiere für Bayer und deren Kooperationen verwendet. Den Hauptanteil stellen dabei mit 83,8 % Mäuse und Ratten dar. Es folgen weitere Nager und Kaninchen (8,6 %), Vögel (3,3 %), Fische (1,6 %), Frösche (1,5 %), „Nutztiere“ (0,3 %). Und auch nicht-menschliche Primaten, Hunde und Katzen (0,9 %) mussten in den Laboren leiden (6). Der Berliner Standort der Bayer AG hat eine Zulassung für maximal 16.000 Mäuse (5).

Beispiel für einen Tierversuch: 2017 wurde eine Studie veröffentlicht, an der die Bayer AG in Berlin beteiligt ist und Medikamente gegen Leberzellkrebs untersucht. Es ist bekannt, dass eines der Medikamente bereits mit geringem Erfolg bei Menschen eingesetzt wird. Zur Ermittlung der Überlebensdauer werden Mäuse künstlich krank gemacht, indem ihnen Leberkrebszellen eingepflanzt werden und sich so Krebs entwickelt. Über eine Schlundsonde werden den Tieren die Medikamente eingegeben, was für die Tiere mit erheblichem Stress verbunden ist. Tumorbedingt leiden die Tiere an Atemnot, Bewegungseinschränkungen und Wasseransammlung im Bauchraum. Die durchschnittliche Überlebenszeit beträgt 21 bis 38 Tage (7).

Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)

Tierlabore in Berlin: MDC 

Robert-Rössle-Straße 10, 13125 Berlin

Nach eigenen Angaben ist das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) die „größte außeruniversitäre biomedizinische Forschungseinrichtung Berlins.“ Die Forschungsschwerpunkte liegen u.a. in der Krebs- und klinischen Forschung, sowie bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Erkrankungen des Nervensystems. Hauptsächlich werden Mäuse und Ratten für die Tierversuche verwendet. Insgesamt wurden 2020 mehr als 35.000 Tiere an die Behörden gemeldet. Um die 300 Tierversuche mit je ca. 100 Tieren werden am MDC jedes Jahr durchgeführt (11).

Beispiel für einen Tierversuch: Das MDC führt auch Tierversuche im Rahmen der Grundlagenforschung durch. In einer 2017 veröffentlichten Studie werden Mäuse und Nacktmulle verschiedenen Sauerstoffkonzentrationen ausgesetzt und es wird beobachtet nach welcher Zeit sie sterben bzw. ob sie sich nach erhöhter Sauerstoffzugabe wieder erholen (12). Das Ergebnis: Nacktmulle überleben ganz ohne Sauerstoff 18 Minuten, während Mäuse bereits nach einer Minute tot sind. 2017 erhielt das MDC für diese Nacktmull-Versuche unseren Negativpreis „Herz aus Stein“ >>

2020 wurde ein neues Forschungsgebäude „Präklinisches Forschungscentrum“ in Betrieb genommen. Nach Bekanntgabe der Pläne zum Neubau gab es Proteste von mehreren Organisationen, darunter auch von Ärzte gegen Tierversuche, gegen diese weitere tierexperimentelle Einrichtung. Trotz Bekundung seitens des MDC, dass sich damit die Tierzahl nicht erhöhen wird, ist die maximal zugelassene Auslastung von 74.280 Mäusen in 2012 auf 89.280 in 2021 gestiegen (5). Angekündigt waren dagegen Kapazitäten bis zum Jahr 2020 von lediglich 59.400 Mäusen. Vor allem bei Hamstern gab es einen enormen Anstieg von maximal 15 in 2012 auf maximal 15.000 in 2021. (5)

Freie Universität Berlin

Tierlabore in Berlin: FU

An der Freien Universität Berlin (FU Berlin) werden vor allem im Fachbereich Veterinärmedizin Tierversuche durchgeführt. Schwerpunkte bilden hier die Forschung in der Infektionsmedizin sowie Tier- und Umwelthygiene. Auch in der Lehre werden Tierversuche durchgeführt und dafür Tiere gehalten. Die Tierarten, die gehalten werden können, gehen über die üblichen Mäuse und Ratten hinaus und umfassen Hunde, Katzen, Schafe, Ziegen, Pferde, Rinder, Schweine, Hühner, Puten, Tauben und weitere Tiere. (5)

Beispiel für einen Tierversuch: Die Immunreaktionen von Hausschweinen sollen als „humanrelevante Großtiermodelle“ auf Schimmelpilze, die über die Luft übertragen werden, untersucht werden. Dafür müssen die Tiere für 8 Stunden in einer Metallkammer verbleiben, in denen sie mit dem Schimmelpilz begast werden. (13)

Max–Planck-Institute

Tierlabore in Berlin: Max-Planck-Institute
Bild: Wikimedia Commons/lotatau

Die Max-Planck-Gesellschaft unterhält verschiedene Institute, von denen mehrere ihren Sitz in Berlin haben. Dies sind das Max-Planck-Institut (MPI) für Infektionsbiologie mit zwei Standorten und das MPI für molekulare Genetik. Die Forschung wird im Bereich der Grundlagenforschung betrieben und dafür hauptsächlich Mäuse gehalten und eingesetzt. An allen Instituten in Berlin können zusammen bis zu 42.765 Mäuse gleichzeitig gehalten werden.

Robert Koch-Institut - Bundesinstitut für Infektionskrankheiten

Tierlabore in Berlin: Robert Koch-Institut

Nordufer 20, 13353 Berlin
Seestraße 10, 13353 Berlin

Das Robert Koch-Institut (RKI) untersucht Infektionskrankheiten und führt dazu auch Tierversuche durch. Nach eigenen Angaben werden zurzeit 500 Tiere in den Einrichtungen für Versuche gehalten (14). Hauptsächlich handelt es sich dabei um kleine Nagetiere, wie Mäuse, Ratten und Hamster.

Bundesinstitut für Risikobewertung

Tierlabore in Berlin: Bundesinstitut für Risikobewertung
Bild: Wikimedia Commons

Alt-Marienfelde 17-21, 12277 Berlin
Diedersdorfer Weg 1, 12288 Berlin

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) unterliegt dem Geschäftsbereich des BMEL und hat die Aufgabe die Bundesregierung bei Themen zur Sicherheit des Menschen bei Lebensmitteln, Stoffen und Produkten zu beraten. Außerdem führt es gesetzlich vorgeschriebene Tierversuche im Bereich der Sicherheitsprüfungen von Lebens- und Futtermitteln durch. Aber auch für die Ausbildung des Pflegepersonals der Tiere werden zum Teil lebende Tiere verwendet. Die Zahl der in Versuchen verwendeten Tiere stieg von 133 (2018) über 180 (2019) auf 269 in 2020. Eine Vielzahl von Tierarten wird dafür gehalten, wie Mäuse, Ratten, Schafe, Rinder und Fische (15).

Beispiel für einen Tierversuch: Am BfR werden Versuche mit Hühnern zur Entstehung von antibiotikaresistenten Keimen durchgeführt. Einigen Gruppen wird dabei ein Antibiotikum über eine Kanüle in den Schnabel eingegeben und zum Versuchsende werden alle Hühner auf resistente Keime untersucht. Mehre Tiere sterben im Versuchszeitraum. (16)

3R-Zentren

In den letzten Jahren entstanden in Berlin mehrere sogenannte 3R-Zentren. Darunter die von der FU Berlin initiierte und 2014 eröffnete Berlin-Brandenburger Forschungsplattform BB3R. Hier sollen tierversuchsfreie Methoden erforscht und zukünftiges Forschungspersonal ausgebildet werden.

Nur ein Jahr später eröffnete das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R), das zum BfR gehört. Hier werden unter anderem Tierversuche im Rahmen des Refinements durchgeführt, um bessere Haltungs- und Versuchsbedingungen zu etablieren.

2018 folgte die Charité mit einer eigenen Initiative: Charité 3R. Hier sollen die 3R-Prinzipien in Forschung und Lehre gefördert werden.

Bis 2026 soll das Einstein-3R, dessen Gründung von Charité, FU Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin und Technische Universität Berlin initiiert wurde, fertiggestellt werden. Es soll eine enge Kooperation zwischen dem Berlin Institute of Health, MDC, BfR und RKI entstehen. Schwerpunktmäßig sollen hier 3D-Modelle aus menschlichen Gewebekulturen (Organoide) erforscht werden.

Berlin investiert in das 3R-Konzept was auch daran erkennbar ist, dass fast ein Drittel der bundesweiten Fördergelder für die 3R-Forschung nach Berlin gehen. Allerdings wird der Großteil davon in „Refinement“ und „Reduction“ investiert. Das 3R-Konzept hat generell nicht das Ziel, Tierversuche abzuschaffen, sondern lediglich innerhalb des bestehenden Systems etwas zu modifizieren. So verwundert es denn auch nicht, dass die Tierversuchszahlen in Berlin in den letzten Jahren nur geringfügig gesunken sind.

Tierversuche reduzieren, ersetzen oder abschaffen?

Positionspapier zum 3R-Konzept >>

Zukunftsfähige Forschung

Erfreulich hingehen sind die Pläne zum neuen Forschungsgebäude der TU Berlin und Charité „Der Simulierte Mensch“. Bis 2023 soll der Bau abgeschlossen sein und Forschung mit tierversuchsfreien humanbasierten Methoden praktiziert werden. Zellkulturverfahren, Multi-Organ-Chips und 3D-Bioprinting sind Beispiele für humane Modelle mit denen hier gearbeitet werden soll, um relevante Erkenntnisse für den Menschen zu erlangen.

Eine starke Unterstützung für die tierversuchsfreie Forschung hat Berlin 2020 auch mit dem Amtsantritt von Dr. Kathrin Herrmann als neue Landestierschutzbeauftragte bekommen. Sie erklärte gleich zu Beginn, Berlin zur Hauptstadt tierfreier Forschungsmethoden zu machen, zu einem ihrer Schwerpunkte. (17) Mit der Förderung unserer NAT-Database im Juli 2021 unterstreicht sie diese Bestrebungen und unterstützt damit offiziell die weltweit einzigartige Datenbank für tierversuchsfreie Forschungsmethoden. 

25. Oktober 2021
Sophie-Madlin Langner (Tierärztin)

Quellen

  1. BMEL: Versuchstierdaten 2019
  2. Koalitionsvereinbarungen Berlin 2016 - 2021
  3. Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. M. Efler (Linke) zum Thema „Überschusstiere“ bei Tierversuchen 12.04.2021, Drucksache 18/27291
  4. BMEL: Versuchstierdaten 2019 der Bundesländer unter Angabe der Schweregrade
  5. Antwort des Landesamts für Gesundheit und Soziales auf Anfrage durch Ärzte gegen Tierversuche vom 23.07.2021
  6. Bayer und Tierversuche, Fakten und Zahlen
  7. Kissel et al. Antitumor effects of regorafenib and sorafenib in preclinical models of hepatocellular carcinoma. Oncotarget 2017; 8(63):107096
  8. Charitè Forschungsschwerpunkte
  9. Charitè 3R FAQ
  10. Schell et al. Treatment of osteochondral defects: chondrointegration of metal implants improves after hydroxyapatite coating. Knee Surgery, Sports Traumatology, Athroscopy 2019;27(11):3575-3582
  11. MDC Zahlen und Fakten, Anzahl der Versuchstiere und Art der Versuche
  12. Park et al. Fructose-driven glycolysis supports anoxia resistance in the naked mole-rat. Science 2017; 356(6335):307-311
  13. Schmidt et al. The domestic pig as human-relevant large animal model to study adaptive antifungal immune responses against airborne Aspergillus fumigatus. European Journal of Immunology 2020;50(11):1712-1728
  14. Robert Koch Institut Versuchstierhaltung 
  15. BfR Fragen und Antworten zu Tierversuchen am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Stand 25.02.2021
  16. Burow et al. Antibiotic resistance in Escherichia coli from broiler chickens after amoxicillin treatment in an experimental environment. Microbial Drug Resistance 2020; 26(9):1098-1107 
  17. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung: Berlin hat eine neue Tierschutzbeauftragte. Pressemitteilung 11.11.2020