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Hintergrund

Die private Paracelsus Universität will ab 2018 im Nordklinikum in Nürnberg Tierversuche mit Mäusen und Ratten durchführen. Gegenstand der Forschung sollen künstliche Knorpel und Sehnen sein. Medienberichten zufolge steht eine schriftliche Genehmigung für das einzige Tierversuchslabor in der Stadt zwar noch aus, doch es gibt bereits eine mündliche Zusage. Die Versuche sollen beispielsweise dazu beitragen, einen künstlichen Ersatz für Kreuzbänder zu entwickeln. Bereits in den 1980er Jahren gab es ein Tierlabor am Nordklinikum, doch die Forschungen wurden eingestellt. Jetzt sollen die Versuche wieder aufgenommen werden. Bis zu 100 Mäuse und 20 Ratten sollen im Labor in der Flurstraße in „Klimaschränken“ gehalten werden. Eine halbe Million Euro wurde bereits in das Vorhaben investiert (1).

Unterschiede zwischen Mensch und Maus

Eine Maus hat eine grundlegend andere Körperhaltung als der auf zwei Beinen gehende Mensch, weshalb die Knorpel und Sehnen anderen statischen Voraussetzungen standhalten müssen. Auch ist durch die deutlich kürzere Lebenszeit einer Maus nicht damit zu rechnen, dass es etwa zu Verschleißerscheinungen kommt, wie dies beim Menschen der Fall sein kann. Das „Mausmodell“ bildet ferner keine Auswirkungen von Zivilisationserscheinungen wie Übergewicht ab und kann somit keine Aussagen über den Einfluss dieser auf den Sehnenapparat und die Gelenkknorpel treffen. Mäuse verfügen zudem über eine sehr viel schnellere Regenerationsfähigkeit als Menschen, d.h. Schäden z.B. an den Gelenken heilen schneller.

Weder Statik, noch Last-Kraft-Verhältnis, Biomechanik, Ernährung, Alter oder Vorerkrankungen stimmen zwischen Maus und menschlichen Patienten überein. Die Ergebnisse aus solchen Tierversuchen sind daher nicht auf die klinische Situation beim Menschen übertragbar.

In anderen Bereichen hat es vergleichende Studien zwischen Menschen und Mäusen gegeben. In einer Studie (2) zur Immunologie wurde untersucht, wie sich Entzündungsreaktionen bei Menschen im Vergleich zu verschiedenen Mäusestämmen verhalten, denen ein Trauma, Verbrennungen oder eine Blutvergiftung zugefügt wurden. Bei Mäusen kommt es nur für kurze Zeit zu einer milden Reaktion, Menschen dagegen reagieren stärker und über einen Zeitraum von bis zu einem halben Jahr. So ist die Dosis Bakterien, die ausreicht, bei einem Menschen einen Blutvergiftungsschock auszulösen, eine Million Mal geringer als die tödliche Dosis bei Mäusen. Selbst die verschiedenen Mäusestämme zeigten unterschiedliche Reaktionen. Eine andere Studie (3) besagt, dass nur 43 % der Nebenwirkungen von Medikamenten beim Mensch in der Maus abgebildet werden können. Selbst die Ergebnisse bei Ratten und Mäusen auf dem Gebiet der Krebsforschung bzw. Reproduktionstoxizität stimmen nur zu 60 % überein (3). Diese Beispiele zeigen, dass eine Übertragbarkeit von Ergebnissen aus dem Tierversuch auf den Menschen nicht gegeben ist.

Ein falsches System

Die Symptome menschlicher Erkrankungen werden auf künstliche Weise in sogenannten „Tiermodellen“ nachgeahmt. So wird ein Herzinfarkt bei Hunden beispielsweise durch das Zuziehen einer Schlinge um ein Herzkranzgefäß simuliert. Diese künstlich hervorgerufenen Symptome haben jedoch nichts mit den menschlichen Krankheiten, die sie simulieren sollen, gemein. Wichtige Aspekte der Krankheitsentstehung wie Ernährung, Lebensgewohnheiten, Verwendung von Suchtmitteln, schädliche Umwelteinflüsse, Stress, psychische und soziale Faktoren werden dabei außer Acht gelassen. So liegt die Humanrelevanz von Tierversuchen in der Übertragbarkeit auf den Menschen deutlich unter 1% (4). Dagegen liefern tierversuchsfreie Testmethoden mit menschlichen Zellen und Geweben kombiniert mit Computerprogrammen im Gegensatz zum Tierversuch genaue und aussagekräftige Ergebnisse. Ein Hauptargument von Tierversuchsbefürwortern ist, dass diese Methoden keinen kompletten Organismus abbilden. Jedoch muss man sich hier vor Augen führen, dass es sich im Gegensatz zum Tierversuch um humanrelevante Forschungsmethoden handelt und dies verlässlichere medizinische bzw. wissenschaftliche Ergebnisse mit sich bringt, als es ein tierischer Organismus dies tun würde. Besser, man nutzt ein unvollständiges, aber relevantes System als einen vollständigen, aber irrelevanten Organismus.

Anzahl der Tiere

Die Kapazitäten des neuen Labors sollen für 100 Mäuse und 20 Ratten ausgelegt werden. Das erscheint auf den ersten Blick nicht viel zu sein. Allerdings werden Mäuse im Labor meist nur wenige Wochen alt bevor sie im Verlauf des Versuchs sterben oder getötet werden. Das bedeutet, dass die Käfige mehrmals im Jahr besetzt werden können, so dass die Zahl der Mäuse auf mehrere Hundert im Jahr steigt. Gleiches gilt für die Ratten. Zudem spielt es für das einzelne Tier keine Rolle, ob es sein Schicksal noch mit Millionen oder wenigen anderen Tieren teilt. Unabhängig von der Zahl der verforschten Tiere sind die Versuche ethisch verwerflich und wissenschaftlich unsinnig und damit nicht zu rechtfertigen.

Forschung ohne Tierversuche

Ein tierversuchsfreier Ansatz wäre die Züchtung von Sehnen- und Knorpelzellen aus induzierten pluripotenten Stammzellen. Hierbei handelt es sich um Gewebezellen aus der Haut, die als Ausgangsmaterial dienen und zu induzierten pluripotenten Stammzellen programmiert werden. Aus ihnen kann sich dann jede Art einer Körperzelle entwickeln. Der Vorteil ist hier, dass man – ohne die ethischen Probleme der embryonalen Stammzelle - menschliche Zellen verwenden kann und somit die Problematik der Abstoßung gar nicht erst entsteht. Man kann sogar noch weiter gehen: Arthrosepatienten können Hautzellen entnommen werden und diese können anschließend über den Weg der Stammzellen zu Knorpelzellen entwickelt werden. Der Patient bekommt im Anschluss körpereigenes Material implantiert. Ferner sind Computermodelle eine geeignete Methode, um Aussagen über die Statik eines Körpers machen zu können. Zudem schreitet die Entwicklung der 3-D-Drucker immer schneller fort. So können heute schon menschliche Gewebekomplexe gedruckt werden. Tierversuchsfreie Methoden sind somit zur Genüge vorhanden und warten nur darauf, genutzt zu werden.

05.10.2017
Julia Schulz, Tierärztin, Dr. med. vet. Corina Gericke

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Quellen

(1) Nürnberger Privatuni will Tierversuche durchführen. Passauer Neue Presse, 27.9.2017 
(2) Soek J et al.: Genomic responses in the mouse models poorly mimic human inflammatory diseases. PNAS 2013: 110(9); 3507-3512
(3) Hartung T: What Clinical Studies Tell Us About Preclinical Work, ALTEX 2013; 30(3): 275-291
(4) Lindl, Toni et al.: Tierversuche in der biomedizinischen Forschung - Eine Bestandsaufnahme der klinischen Relevanz von genehmigten Tierversuchsvorhaben: Nach 10 Jahren keine Umsetzung in der Humanmedizin nachweisbar. ALTEX 2005: 22(3); 143-151