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Hintergrund

Eine Auswertung unseres Vereins offenbart, dass Politik und Wissenschaft das tatsächliche Ausmaß der tierexperimentellen Forschung verschleiern und kein Interesse zeigen, für Transparenz zu sorgen. Die offizielle jährliche Tierversuchsstatistik der Bundesregierung umfasst mit den rund 3,1 Millionen Tieren pro Jahr nur einen Bruchteil der tatsächlichen Opfer der Tierversuchsindustrie. Tiere, die bei Genmanipulationen als „Ausschuss“ geboren werden und solche, die von den Experimentatoren auf „Vorrat“ gehalten oder Mangels „Bedarf“ getötet werden, werden in der Statistik nicht erfasst. Mit der Zielsetzung, das verschwiegene Leid der Tiere öffentlich zu machen, hat unser Verein einige Bundesländer, die den höchsten Tierverbrauch zu verantworten haben, um Offenlegung der echten Zahlen gebeten und detaillierte Anfragen initiiert. Mangels Mitteilungswillen des Großteils der Politik basiert die Hochrechnung auf einzelnen gesicherten Daten, da die gewünschten Auskünfte über die tatsächliche Dimension der Tierversuche nicht erteilt wurden.

„Vorrats“tierhaltung

Das Land Bayern gibt keine konkreten Zahlen zur „Vorrats“tierhaltung bekannt. Aus der Antwort des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz (1) gehen jedoch zumindest die Haltungskapazitäten einiger Einrichtungen, hervor. So haben allein die 7 staatlichen und 4 privaten Einrichtungen (Universitäten und Helmholtz-Zentrum), an denen Vorratshaltung betrieben wird, Haltungskapazitäten für 449.485 Tiere, darunter 320.818 Mäuse, 29.495 Ratten und 85.500 Fische. Der Gesamt„verbrauch“ an allen bayerischen Forschungseinrichtungen im Jahr 2012 waren 383.393 Tiere.(2)

In Berlin ist die Zahl der Tiere im Labor über dreimal höher als offiziell angegeben (3), wenn man die auf „Vorrat“ gezüchteten Tiere berücksichtigt. Da die Maschinerie in anderen Bundesländern nach dem gleichen Prinzip funktioniert, sind auch dort vergleichbare Relationen anzunehmen. An der Universität Gießen beispielsweise werden im Labor mindestens 2,5 mal mehr Tiere gehalten, als in Tierversuchen verwendet werden.(4) Die „überschüssigen“ Tiere werden getötet.

Auch in den Niederlanden werden doppelt so viele Tiere in Labors gehalten als in Tierversuchen verwendet werden. So waren es dort im Jahr 2011 589.853 Tiere, die in Tierversuchen verwendet wurden und 530.446 Tiere, die auf Vorrat gezüchtet und mangels Bedarf getötet wurden.(5) Anders als in Deutschland wird diese Zahl jedoch nicht geheim gehalten. Unter Einbezug einer angenommenen „Vorrats“tierhaltung um das 2,5fache ergeben sich in deutschen Labors rund 7,7 Millionen Tieropfer pro Jahr.

Tiere als „unerwünschte Nebenprodukte“ der Genforschung

Die Genmanipulationen an Tieren sind für einen besonders hohen „Ausschuss“ verantwortlich. Nur bei ca. 10 % der Tiere gelingt es, die Fremd-DNA in das Genom einzubauen. Bei nur 70 % der daraus resultierenden Nachkommen (Founder-Generation) wird die Fremd-DNA integriert und bei der nachfolgenden Tochter-Generation wiederum nur bei 50% der Tiere, welche dann zur Etablierung einer transgenen Linie herangezogen werden.(6)

Folgende Tierzahlen werden als Bedarf zur Erzeugung einer klassischen transgenen Tierlinie angegeben:

  • 10-30 Muttertiere
  • 10-30 Ammen
  • 2-10 Vasektomierte Männchen
  • zu testende Nachkommen der 1. und 2. Generation jeweils 70 Tiere.(7)

Um ein einziges mehrfach transgenes Tier zu erhalten, was in der aktuellen Praxis durchaus üblich ist, müssen bis zu 54 Tiere sterben, da sie nicht den gewünschten Genotyp aufweisen (4) – sie werden wie Müll entsorgt. Bei einem gängigen Kreuzungsschema zur „Herstellung“ eines transgenen Tieres entstehen in der ersten Stufe durchschnittlich 1, in der zweiten Stufe zusätzlich 7, in der dritten Stufe weitere 15 und in der vierten Stufe weitere 31 Tiere ohne Verwendung. Je nach gewünschtem Ergebnis beträgt die Zahl der „Ausschuss“tiere pro „erwünschtem“ Tier also 1-54, was 50 bis 98% entspricht. Diese Relation deckt sich mit den Befunden aus Großbritannien, wo bereits im Jahr 1999 auf die hohe „Ausschuss“quote von 90% and 99% hingewiesen wurde.(8)

Diese „Ausschuss“quote unterstreicht, wie respekt- und würdelos mit Tieren umgegangen wird und sie lediglich zu Wegwerfartikeln degradiert werden. Bestätigt wird dies durch die Aussage einiger Universitäten, wonach die genveränderten Tiere, die nicht dem Forscherwunsch entsprechen, „gemäß Betriebsanweisung unschädlich zu inaktivieren und keiner anderen Verwendung zuführbar sind“.(4)

Aus der offiziellen Tierversuchstatistik geht hervor, dass im Jahr 2012 in Deutschland 933.853 transgene Tiere in Versuchen eingesetzt worden sind.(9) Da die offizielle Statistik keine Angaben darüber enthält, um welche Linie es sich handelt und ob eigens eine neue transgene Linie etabliert wurde, kann keine zuverlässige Angabe darüber getroffen werden, wie viele Tiere für die Tierversuchsmaschinerie bei der „Herstellung“ der transgenen Tiere leiden und sterben mussten, ohne in Tierversuchen im Sinne der Definition eingesetzt und somit statistisch nicht erfasst zu werden.

Tatsächliche Tierzahl um ein Vielfaches höher

Korrigiert man die offizielle Statistik um die Tiere, die für die „Vorrats“haltung herhalten müssen, ergeben sich rund 7,7 Millionen Tieropfer des Systems Tierversuch. Hinzu kommen die „Ausschuss„tiere der Genforschung in unbekannter Dimension. Nicht zu vergessen sind dabei die wirbellosen Tiere wie Insekten, die von vornherein nicht vom Tierschutzgesetz umfasst und damit nicht gezählt werden.

Kritik und Forderung

Es ist eine sträfliche Missachtung des im Grundgesetz festgeschriebenen Tierschutzes, dass die Politik die Tötung der vom Experimentator unerwünschten Tiere billigend in Kauf nimmt, obwohl das Tierschutzgesetz einen „vernünftigen Grund“ vorschreibt. Die angefragten Landesregierungen weisen weitgehend jede Verantwortung lapidar zurück. Vorgebliches Nichtwissen, Verschleierungstaktik, Verweise auf den Datenschutz und Ignoranz sind die gängigen Abwehrstrategien, wenn es um die Belange wehrloser Tiere geht. Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg umgehen die Beantwortung der Fragen vollständig, indem sie sich auf gesetzliche Vorgaben gemäß Tierversuchsmeldeverordnung stützen und vorgeben, nicht zu wissen, in welchem Umfang die Tierversuchseinrichtungen in ihrem Land Tiere halten.(10, 11) Bayern nennt als „vernünftigen Grund“ für die Tötung von Tieren unter anderem Zuchtüberschuss.(1) Die Antworten werfen die Frage nach der Kontrolle der Tierversuchspraxis und der Einhaltung des Tierschutzgesetzes umso mehr auf.

Mit den Vorgaben der neuen Tierversuchsrichtlinie sollen zwar bei den transgenen Tieren mehr Daten als bislang erfasst werden. Darüber hinaus ist jedoch eine vollständige Erfassung aller für Tierversuchszwecke verwendeten Tiere erforderlich. Vor dem Hintergrund, dass Tierversuche jährlich mit Milliarden finanziert werden, die großteils aus Steuermitteln stammen, ist es legitim zu fordern, den Bürgern offenzulegen, wie viele Tiere tatsächlich dem Systems Tierversuch zuzuschreiben sind, solange es noch Tierversuche gibt. Es liegt an der Politik sowie der Tierversuchslobby, der Öffentlichkeit, die die Tierversuche finanziert, eine lückenlose Aufklärung zu liefern.

Dipl. Biol. Silke Bitz

09.05.2014

Quellen

(1) Antwort des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 26.3.2014
(2) Ärzte gegen Tierversuche e.V.: Tierversuchsstatistik >>
(3) Kleine Anfrage der Abg. Claudia Hämmerling zur Bevorratung mit Versuchstieren (Drucksache 1/10645 vom 10.7.2012)
(4) Kleine Anfrage der Abg. Ursula Hammann betreffend Zucht- und Vorratshaltung von Tieren in Tierversuchslaboren in Hessen – Teil 1 (Drucksache 18/7733 vom 15.1.2014)
(5) Tierversuchsstatistik 2011 Niederlande (Zo doende 2011, Jaaroverzicht van de Nederlandse Voedsel- en Warenautoriteit over dierproeven en proefdieren)
(6) Bärbel Hüsing und Rene Zimmer: Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren. Fraunhofer Institut Systemtechnik und Innovationsforschung Karlsruhe, September 2001
(7) Informationspapier des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 15.4.1996: Die Erzeugung und Zucht transgener Mäuse und Ratten unter Tierschutzgesichtspunkten
(8) Mouse massacre' in labs, BBC News vom 5.5.1999
(9) Tierversuchsstatistik 2012, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
(10) Antwort der Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 30.12.2013
(11) Antwort des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg vom 22.11.2013