Welttierschutztag 2019
- Dipl. Biol. Julia Radzwill
Tierversuchsfreie Forschung nach wie vor skandalös unterfinanziert
„Ein jedes Lebewesen in Bedrängnis hat gleiches Recht auf Schutz“ postulierte Franz von Assisi, auf den der Welttierschutztag am 4. Oktober zurückgeht, bereits im 13. Jahrhundert. Über 800 Jahre später leiden und sterben allein in Deutschland laut Bundesstatistik immer noch jedes Jahr über 2,8 Millionen Tiere* in Laboren. Doch tierversuchsfreie Forschungsmethoden haben längst ihre Leistungsstärke unter Beweis gestellt. Deren mangelhafte Förderung und die fehlende Strategie der Bundesregierung zum Ausstieg aus dem Tierversuch kritisiert der bundesweite Verein Ärzte gegen Tierversuche.
Die Niederlande haben seit 2016 ein Ausstiegskonzept aus der Methode Tierversuch, die USA erarbeiten aktuell eines. Ärzte gegen Tierversuche fordert von Deutschland, jetzt ebenfalls zu handeln – um dem Tierschutz gerecht zu werden, medizinischen Fortschritt zu befördern und dem Wissenschaftsstandort Deutschland eine Spitzenposition zu sichern. Auch in der Bevölkerung gibt es eine Mehrheit gegen Tierversuche: Laut Forsa-Umfrage sind 71 % gegen besonders leidvolle Tierversuche, 52 % halten Tierversuche generell nicht für erforderlich (1).
Skandalös ist für die Ärztevereinigung, dass in zukunftsträchtige tierversuchsfreie Hightech-Methoden in Relation zu Tierversuchen nur geringe staatliche Gelder fließen. Einem jährlich sehr gering zweistelligen Millionenbetrag für tierversuchsfreie Forschung seitens des Bundes und der Länder stehen nach wie vor Milliarden für Tierversuche gegenüber, das sind 0,x % zu 99,y % (2).
Ärzte gegen Tierversuche lehnt Tierversuche sowohl aus ethischer als auch aus wissenschaftlicher Sicht ab: „Fast alle Menschen finden Tierversuche grausam – aber sie befürchten, dass bei einem Verbot keine neuen Medikamente mehr entstehen. Das ist aber kein realistisch zu befürchtendes Szenario!“, weiß Dr. med. Ines Lenk, Vorsitzende von Ärzte gegen Tierversuche. „In den letzten Jahren haben die humanbasierten, tierfreien Forschungsmethoden enorm große Fortschritte gemacht. Mini-Gehirne, die aus Zellen von Alzheimer-Patienten wachsen, Multi-Organ-Chips, biologische 3D-Drucker; das alles war vor Jahren noch undenkbar, wird aber heute in vielen Laboren bereits umgesetzt – trotz völlig unzureichender Finanzierung! Das ist ein klares Indiz, wie enorm groß die Leistungsfähigkeit dieser modernen Methoden ist!“, so die Expertin.
Tierversuche dagegen erweisen sich regelmäßig als Sackgasse – gerade erst wurden mehrere klinische Studien zu einem Alzheimer-Medikament abgebrochen, weil das Medikament die Symptome der Patienten verschlimmert (!) hat – der Wirkstoff war zuvor im Tierversuch als wirksam gegen die Krankheitssymptome eingestuft worden (3). Unser kompliziertestes Organ Gehirn verhält sich also trotz genetischer Nähe ganz anders als das von Tieren; eine Erkenntnis, die nicht verwundert, da bekannt ist, dass tierversuchsgeprüfte Medikamente regelmäßig scheitern, wenn sie am Menschen erprobt werden. Tierversuche wurden nie validiert, das heißt, sie mussten ihre Aussagekraft nie unter Beweis stellen. Dem gegenüber existieren bereits äußerst vielversprechende Methoden. So hat an der Ruhr-Uni Bochum eine Arbeitsgruppe mit Hilfe eines aus Hautzellen von Patienten entwickelten humanen Mini-Gehirns einen wichtigen Mechanismus der Alzheimer-Krankheit aufgeklärt. Es wäre nach Aussage des Ärztevereins für Mensch und Tier fahrlässig, diese neuen Chancen nicht stärker zu fördern. Dazu müssten die Milliarden Steuergelder, die heute für Tierversuche verschwendet werden, in die tierversuchsfreie Forschung fließen.
„Tierversuche müssen als Relikt längst vergangener Jahrhunderte abgeschafft und die menschenbasierte Forschung verstärkt gefördert werden. Denn diese hat aufgrund der Humanrelevanz das Potenzial, für wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritt zu sorgen“, so Lenk weiter. „Dafür setzen wir uns – nicht nur am Welttierschutztag – ein und fordern von der Politik den längst überfälligen Paradigmenwechsel!“
So ist der Verein zwecks Förderung innovativer tierversuchsfreier Methoden selbst aktiv geworden: Vor wenigen Tagen hat er zwei durch Sponsoren finanzierte und mit je 20.000 € dotierte Herbert-Stiller-Preise für aussichtsreiche Forschungsprojekte ohne den Einsatz von Tieren vergeben (4).
* Hinzu kommen nicht erfasste Tiere; solche, die für die Vorratshaltung gezüchtet werden und Tiere, die getötet werden, da sie beispielsweise nicht das gewollte Geschlecht oder die gewünschte genetische Modifikation aufweisen. Nach Hochrechnungen des Ärztevereins ist die Tierzahl ca. 2,5mal höher als offiziell angegeben und liegt damit bundesweit bei rund 7 Millionen Tieren. Auch wirbellose Tiere (außer Kopffüßer wie z.B. Tintenfische) wie Insekten und Krebse werden überhaupt nicht gezählt.
Quellen
(1) Forsa-Umfrage: Mehrheit will keine Tierversuche, Ärzte gegen Tierversuche 2017 >>
(3) Egan MF et al.: Randomized Trial of Verubecestat for Prodromal Alzheimer’s Disease. New England Journal of Medicine. 2019; 380(15): 1408–20