Humaner Zellatlas lüftet Geheimnisse
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- Dipl. Biol. Julia Radzwill
Detaillierte Laborverfahren zeigen Zusammenspiel von menschlichen Zellen bei gesunden und krankhaften Zuständen
Trotz intensiver Forschungen und hohen Investitionen in tierversuchsbasierte Forschungsprojekte konnte in vielen Bereichen nach wie vor nicht geklärt werden, wie das Zusammenspiel der Zellen in den Organen oder auf kleinerer Organisationsebene funktioniert. Das Wissen darum ist aber entscheidend, denn nur, wenn bekannt ist, wie ein gesunder Organismus reagiert, kann mittels Vergleich mit einem kranken Organismus herausgefunden werden, wie eine Krankheit entsteht – u.a. ist das die Basis, um wirksame Medikamente zu entwickeln. Durch aufwändige Analysen werden sogenannte Zellatlanten auf Basis von Humandaten geschaffen, die zeigen können, was passiert, wenn sich gesunde Zellen zu kranken Zellen entwickeln.
Immer mehr Forschungsprojekte orientieren sich am Menschen, sprich: sie arbeiten mit menschlichen Zellen und/oder Daten und entwickeln spezifische Methoden und Modelle, die die Situation des Menschen so genau wie möglich widerspiegeln. Die Aufrecht- und Gesunderhaltung eines Organismus ist ein hochkomplexes Zusammenspiel von unzähligen Faktoren auf verschiedensten Ebenen wie der DNA, der Protein- und Zell-Ebene, aber auch von Interaktionen in begrenzenten Zell-Bereichen, innerhalb von Organen sowie von Organen untereinander. Ebenso gibt es viele verschiedene, sehr spezifische Faktoren, die eine Erkrankung auslösen. Meist beginnt dies in einzelnen Zellen, weshalb es aktuelle Projekte gibt, die genau dies untersuchen. Ein Zellatlas ist eine Plattform, die (alle) Zellen des menschlichen Körpers verzeichnet. (1)
Sowohl das Human Cell Atlas (HCA) Projekt (2) als auch das Human Biomolecular Atlas Program (HuBMAP) (3) haben zum Ziel, mit einem Netz aus verschiedenen Forschern jede Zelle des gesunden menschlichen Körpers zu charakterisieren, ihre Funktion zu bestimmen und ihre Interaktionen zu untersuchen. Dies soll in einen zwei- oder auch dreidimensionalen „Lageplan“ gebracht werden. Als Basis dienen i.d.R. menschliche Gewebe, welche von freiwilligen Spendern oder Patienten, bei denen eine Biopsie oder OP medizinisch notwendig ist, erhalten werden. Diese werden mittels verschiedenen Analysemethoden charakterisiert. Dabei werden Daten erhalten z.B. über die Erbinformation DNA und ihre Umsetzung in RNA, die Gesamtheit aller Proteine, die in der jeweiligen Zelle vorliegen und auch alle stoffwechselrelevanten Stoffe wie Zuckerarten, Aminosäuren oder Fette. Diese einzelnen Zellen werden dann räumlich eingeordnet; so kann dann z.B. bestimmt werden, wo sich eine bestimmte Zelle innerhalb des Organs befindet. Zellen organisieren sich innerhalb eines Organs oft in Mikro-Strukturen und beeinflussen sich gegenseitig in ihrer Funktion.
In einer Publikation (4) wurde sich auf Nierenkrankheiten konzentriert: Die Forscher charakterisierten und verglichen die Daten von 45 gesunden Spendergeweben mit kranken Geweben von 48 Patienten. Dabei fanden sie 51 verschiedene Hauptzellarten, zudem entdeckten sie bisher unbekannte Zellpopulationen. Außerdem konnten 28 verschiedene Zustände auf Zellebene identifiziert werden, die bei Nierenkrankheiten verändert sind. Ebenso wurden Abläufe erkannt, die eine Rolle bei Verletzungen und Reparatur spielen. Diese Ergebnisse sind auch relevant für das Kidney Precision Medicine Project (KPMP), welches einen ähnlichen Ansatz wie die Humanatlanten verfolgt, aber auf Nierenerkrankungen spezialisiert ist (5).
Eine weitere Publikation (6) untersucht bisher unbekannte Mechanismen an der Schranke von Fötus und mütterlicher Plazenta. Die mütterlichen Blutgefäße, die den Fötus versorgen, werden in einem vom fötalen Gewebe ausgehenden, noch nicht verstandenen Mechanismus verändert, damit eine optimale Versorgung stattfinden kann. Da diese Mechanismen hochspezifisch sind, können diese nicht im Tierversuch nachgestellt werden. Nun konnten mittels Daten, die aus den Geweben von 66 menschlichen Proben gewonnen wurden, viele Details dieser Interaktion und gegenseitiger Beeinflussung verschiedener Zellen und Immunsystemkomponenten aufgeklärt werden. Dazu wurden Daten von einer halben Million Zellen ausgewertet.
Des Weiteren wurde in einem anderen Forschungsprojekt (7) ein detaillierter Zellatlas des Darms geschaffen, bei dem nicht nur wichtige Organisation der verschiedenen Immunzellen bestimmt, sondern auch noch neue sekretorische Subtypzellen entdeckt wurden. Auch hier dient der Zellatlas von gesunden Zuständen als wichtige Referenz, um Krankheitsmechanismen zu vergleichen, zu erforschen und auf dieser Basis Therapien zu entwickeln.
Diese Informationen bieten eine wichtige - vielleicht die wichtigste - Grundlage, um unzählige Krankheiten zu erforschen und damit die Basis für Therapien und Medikamentenentwicklung zu schaffen. Es gibt noch viele Zellen und Organe, die in naher Zukunft untersucht werden, so dass weitere spannende, neue und wichtige Erkenntnisse zu erwarten sind. Der entscheidende Vorteil liegt darin, dass mit menschlichen Geweben bzw. Zellen gearbeitet und somit die Krankheitsentstehung in der richtigen Spezies untersucht wird - ganz im Gegenteil zu Tierversuchen.
Quellen und weitere Informationen
- Nature News Cell ‘atlases’ offer unprecedented view of placenta, intestines and kidneys >>
- Human Cell Atlas (HCA) HCA Data Portal: Dataportal >>
- The Human BioMolecular Atlas Program (HuBMAP) Website >>
- Lake B. et al. An atlas of healthy and injured cell states and niches in the human kidney. Nature 2023; 619(7970):585–594
- Kidney Precision Medicine Project Website >>
- Greenbaum S. et al. A spatially resolved timeline of the human maternal–fetal interface. Nature 2023; 619(7970):595–605
- Hickey J. et al. Organization of the human intestine at single-cell resolution. Nature 2023; 619(7970):572–584