Fast jeder beantragte Tierversuch wird von den Behörden durchgewunken
- Pressemitteilung
- Dr. Melanie Seiler
In Berliner Laboren ist keineswegs alles in Ordnung
Der bundesweite Verein Ärzte gegen Tierversuche (ÄgT) kritisiert seit Jahren die extrem niedrigen Ablehnungsquoten von Behörden im Genehmigungsverfahren zu Tierversuchen. Nun untermauert eine Recherche der Berliner Zeitung die skandalösen und eklatanten Missstände im Genehmigungsverfahren mit besonderem Fokus auf das LaGeSo in Berlin. Hier werden 95% der beantragten Tierversuche selbst nach Kritik der beratenden Kommission erlaubt.
Im Zuge der Diskussion um das in Berlin seit 2020 geltende Verbandsklagerecht, das dort sieben Tierschutzorganisationen, darunter auch ÄgT, ermöglicht, im Namen der „Versuchs“tiere vor Gericht zu ziehen, wurde in einem Meinungsartikel im Tagesspiegel in 2022 dargestellt, dass die Tierschützer bisher keine eklatanten Mängel in Berlins Laboren zu beanstanden hätten. Dies schloss der Autor daraus, dass nur wenige Klagen eingingen. Es wäre „erfreulich und wenig überraschend“, heißt es in dem Artikel, dass die strengen Tierschutzstandards von Berlins Forschern eingehalten werden. Die Notwendigkeit der Verbandsklage wurde durch den Autor angezweifelt. Nun verdeutlicht eine journalistische Recherche, die unlängst in der Berliner Zeitung erschienen ist, eindrücklich, dass keineswegs alles in Ordnung ist in Berliner Laboren. Nahezu jeder Tierversuch wird von der Genehmigungsbehörde erlaubt – selbst, wenn die zu Rate gezogene Kommission erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Versuche äußert.
Im Rahmen der Wahrnehmung des Verbandsklagerechts stößt auch der Verein Ärzte gegen Tierversuche immer wieder auf genehmigte Versuchsanträge, die seiner Auffassung nach nicht hätten genehmigt werden dürfen. Schon mehrfach hat der Verein Stellungnahmen dazu beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) eingereicht. Details dürfen allerdings nicht preisgegeben werden. Diese Geheimniskrämerei um das Verbandsklagerecht ist ein weiterer Kritikpunkt des Ärztevereins.
Dabei ist die Ablehnungsquote des LaGeSos in Berlin mit 5% noch verhältnismäßig hoch. Eine frühere Auswertung der Daten über die Genehmigungen und Ablehnungen genehmigungspflichtiger Tierversuchsanträge (2015 – 2017) seitens des Ärztevereins in den Bundesländern zeigte erstmals, dass bundesweit lediglich 0,75% der Tierversuche von den Behörden abgelehnt werden. Eine Erhebung der EU-Kommission aus dem Jahr 2017 bescheinigt Deutschland sogar eine Ablehnungsquote von 0%!
Dabei deckt die Recherche auch auf, dass die §15-Kommissionen, also die Instanz, die der Genehmigungsbehörde im Sinne des Tierwohls beratend zur Seite stehen sollte, zumeist mit Vertretern bestückt sind, die selbst in Einrichtungen arbeiten, die Tierversuche durchführen. Solche Personen besetzen sogar häufig die Tierschützerplätze, die laut Gesetz ein Drittel der Kommission ausmachen sollen, indem sie durch Tarnorganisationen, die das Wort „Tierschutz“ im Namen tragen, als „Tierschutz“-Repräsentanten geschickt werden. Vertreter von unabhängigen Tierschutzorganisationen sind wenige vertreten. Abgestimmt wird natürlich auch über Anträge aus der eigenen Forschungseinrichtung – so ist z.B. in Berlin ein großer Teil der §15-Kommission-Mitglieder an der Berliner Charité tätig, die zugleich auch eine große Anzahl an Tierversuchsanträgen stellt. Im Hinblick darauf, dass davon auszugehen ist, dass eine solch abhängig besetzte Kommission vergleichsweise wohlwollend mit Anträgen aus dem eigenen Haus oder weiteren Tierversuchseinrichtungen umgeht, ist es sehr alarmierend, dass sogar diese fehlbesetzte Kommission einen überwältigenden Teil der Tierversuchsanträge entweder gänzlich ablehnt (16%) oder zumindest deutliche Änderungen (Ablehnung mit Nachfragen in 65% der Fälle) verlangt.
Erschüttert zeigt sich der Ärzteverein auch über die sogenannten Rahmenanträge, bei denen pauschal Tierversuchsreihen beantragt werden ohne konkrete Angaben, etwa, welche Krankheiten erforscht werden sollen oder was genau den Tieren angetan werden soll. Nach Aussage des Vereins widerspricht dies deutschem und vor allem EU-Recht, demzufolge bei jedem einzelnen Tierversuchsvorhaben geprüft werden muss, ob der Zweck die Verwendung von Tieren rechtfertigt und ob es tierversuchsfreie Methoden gibt.
„Wir sind nicht überrascht, aber trotzdem schockiert darüber, dass das LaGeSo nebst anderen Genehmigungsbehörden trotz entgegengesetzten Beratungen 95% der Tierversuchsanträge bewilligt – dies zeigt einmal mehr, dass das deutsche Tierschutzrecht und das deutsche Genehmigungsverfahren für Tierversuche grundsätzlich fast jeden Tierversuch und damit Tierqual erlaubt“, kommentiert Dr. Melanie Seiler, wissenschaftliche Referentin für Politik & Recht des Vereins.
Abgesehen von der laxen Handhabe der Behörden bei der Genehmigung von Tierversuchen, bedarf es auch wesentlich strengerer gesetzlicher Vorgaben. Ein Minimum wäre die vollumfängliche Umsetzung der EU-Vorgaben in deutsches Recht. Dem verweigert sich die Ampel bislang, setzt das Thema Tierversuche nicht einmal auf die Agenda bei der anstehenden Überarbeitung des Tierschutzgesetzes. „Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir darf über solch eklatanten Missstände nicht einfach hinwegsehen“, fordert Seiler abschließend.