Herbert-Stiller-Förderpreis 2021
Der Herbert-Stiller-Preis wird von Ärzte gegen Tierversuche e.V. seit 1995 in unregelmäßigen Abständen vergeben. Nach einer längeren Pause in den 2000er Jahren haben zweckgebundene Sponsorengelder eine Neuauflage im Jahr 2019 ermöglichst. 2021 wurde diese als Förderpreis konzipierte Auszeichnung zum zweiten Mal verliehen. Das Preisgeld beträgt 2 x 20.000 Euro.
Ziel des Preises ist es, innovative wissenschaftliche Arbeiten im Bereich der tierversuchsfreien humanbasierten Forschung zu fördern, die einen wesentlichen Beitrag für den medizinischen Fortschritt leisten.
Der Preis ist benannt nach einem Mitgründer des Vereins Ärzte gegen Tierversuche, Dr. Herbert Stiller (1923-1984), Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie.
Kriterien für die Bewerbung
Der Preis 2021 wird nicht - wie in den 1990er/2000er Jahren - retrospektiv für bereits abgeschlossene Forschungsprojekte verliehen, sondern es handelt sich um eine finanzielle Forschungsförderung für geplante Forschungsvorhaben im Bereich Medizin und Biowissenschaften mit Forschungsstandort in Deutschland oder im deutschsprachigen Ausland. Die geplanten Forschungsarbeiten dürfen keine Tierversuche enthalten und es darf kein tierisches Material verwendet werden (z.B. FKS oder tierische Antikörper). Bei dem Forschungsvorhaben kann es sich um In-vitro-Arbeiten, In-silico-Analysen oder auch um klinische oder epidemiologische Studien handeln. In dem Projekt soll ein neues, innovatives Thema aufgegriffen bzw. ein neuer methodischer Ansatz verfolgt werden. Bewerber sollten sich mit den Grundsätzen und Zielen von Ärzte gegen Tierversuche identifizieren.
Die Preisträger 2021
Aus zahlreichen Bewerbungen wählte die ÄgT-Jury bestehend aus den wissenschaftlichen Mitarbeitern des Vereins sowie drei externen Wissenschaftlern die zwei Preisträger aus. Keine leichte Aufgabe, denn die Projektanträge aus vier Ländern und diversen Wissenschaftsbereichen wie Krebsforschung, Neurologie und Infektiologie waren alle förderungswürdig und hatten das Potenzial, großes Tierleid zu verhindern.
Dr. Klara Janjic, Medizinischen Universität Wien (MedUni Wien)
Von li.: Univ.-Prof. DDr. Andreas Moritz, Leiter der Universitätszahnklinik der MedUni Wien, Preisträgerin Dr. Klara Janjić, Dr. Dilyana Filipova, wissenschaftliche Mitarbeiterin von Ärzte gegen Tierversuche, und Dr. Andreas Ganz, Vorstandsmitglied von Ärzte gegen Tierversuche
Foto: MedUni Wien / feelimage
Titel: Establishment of bioprinted human oral disease models for in vitro testing (Etablierung biogedruckter humaner oraler Krankheitsmodelle für In-vitro-Tests)
Zusammenfassung: Weltweit leidet ein Großteil der Bevölkerung an orale Erkrankungen wie Parodontitis, orale Dysplasie und oraler Lichen planus, die häufig mit anderen systemischen Krankheiten zusammenfallen. In solchen Fällen sind mögliche Wechselwirkungen zwischen den Erkrankungen sowie Kreuzreaktionen bei der Behandlung noch nicht geklärt und erfordern ein geeignetes Testmodell, um beteiligte Reaktionen und Mechanismen zu untersuchen. Momentan basiert die Erforschung dieser Fragen meistens auf einfache 2D-Zellmodellen, die die komplexen Eigenschaften des menschlichen 3D-Gewebes unzureichend widerspiegeln, und auf sehr grausamen Tierversuchen, z.B. mit Hunden und Kaninchen, die artspezifische anatomische, histologische und physiologische Merkmale aufweisen und die Prozesse der menschlichen Mundschleimhaut nicht nachahmen.
In diesem Projekt soll ein dreidimensionales personalisiertes Modell der gesunden und kranken menschlichen Mundschleimhaut mittels 3D-Biodruck entwickelt werden. Es werden menschlichen Zellen, orales Gewebe und Speichel von gesunden Personen, sowie von Patienten mit unterschiedlichen oralen Erkrankungen isoliert. Demnächst wird eine Software-Analyse des Patientengewebes durchgeführt, digitale 3D-Modelle der gesunden und kranken menschlichen Mundschleimhaut werden erstellt und biogedruckt. Diese Modelle sollen für die Testung von verschiedenen Dentalmaterialien sowie für die Untersuchung möglicher Behandlungen von Parodontitis und anderen oralen Erkrankungen eingesetzt werden. Für die Modelle werden patienteneigene Zellen verwendet, so kann man die lokalen Reaktionen patientenspezifisch auf verschiedene Materialien und therapeutisch angewandte Substanzen analysieren. Zusätzlich wird die Gewebearchitektur der biogedruckten Modelle mit dem Aufbau des entsprechenden Patientengewebes verglichen, um möglichst genau den Patientenzustand widerzuspiegeln. Somit versprechen die Ergebnisse dieses Projekts eine deutliche Verbesserung der personalisierten oralen Medizin und sind für den Tierschutz hochrelevant.
Dr. Wolfgang Boomgaarden, PharmaInformatic, Emden
Titel: Sind Tierversuche zur oralen Bioverfügbarkeit auf den Menschen übertragbar? Gesamt-Analyse aller bislang durchgeführten und verfügbaren Ergebnisse aus klinischen Studien im Menschen und präklinische Tierversuchen in Hunden, Ratten, Affen und Mäusen.
Zusammenfassung: Die Aufnahme eines durch den Mund eingenommenes Wirkstoffes in den menschlichen Körper (orale Bioverfügbarkeit) ist eine der wichtigsten pharmakokinetischen Eigenschaften bei der Entwicklung neuer Medikamente. Besitzt ein neuer Wirkstoff keine orale Bioverfügbarkeit, so kann er keine pharmakologische Wirkung im Menschen ausüben, da der Wirkstoff nicht in den systemischen Blutkreislauf gelangt. Die orale Bioverfügbarkeit wird im Zuge der Medikamentenentwicklung durch Tierversuche in Affen, Hunden, Ratten und Mäusen routinemäßig bestimmt, um dadurch das pharmakologische Profil im Menschen abzuschätzen. Da sich die tierischen und menschlichen Werte häufig stark voneinander unterscheiden, scheitern viele Medikamente wegen unzureichender Bioverfügbarkeit in den klinischen Studien am Menschen. Dagegen können für Menschen wirksame Medikamenten früh im Entwicklungsprozess fälschlich aussortiert werden, weil sie eine niedrigere Bioverfügbarkeit bei den verwendeten Tierspezies aufweisen.
In diesem Projekt soll die Übertragbarkeit der tierexperimentellen Daten auf den Menschen unter der Lupe genommen werden, indem die orale Bioverfügbarkeit von ca. 150 Medikamenten mittels computergestützten Analysen bei Menschen und Tieren verglichen wird. Der Preisträger Dr. Boomgaarden von der bioinformatischen Unternehmen PharmaInformatic, Emden, hat computergestützte Expertensysteme entwickelt, die mittels künstlicher Intelligenz (KI) anhand der chemischen Struktur von Medikamentenkandidaten vorhersagen können, wie hoch ihre Bioverfügbarkeit sein wird. Für das geplante Projekt werden bereits vorhandene und veröffentlichte Daten aus Tierversuchen und die entsprechenden Werte aus klinischen Studien mit Menschen verwendet. So wird der Unterschied der oralen Bioverfügbarkeit zwischen Mensch und Tier bei 150 ausgewählten Medikamenten nach Beurteilung aller verfügbaren Studien berechnet und der durchschnittliche Fehler ermittelt. Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass teilweise sehr große Unterschiede zwischen die Werten bei Mensch und Tier zu erwarten sind. Die Resultate sollen ein Anreiz für Pharmaunternehmen sein, diese Expertensysteme statt der üblichen Tierversuche anzuwenden, um die Wirksamkeit ihrer Medikamentenkandidaten schneller und genauer zu berechnen.
Die Preisverleihungen
Verleihung am 08.11.2021 in Wien
Die erste Preisverleihung fand am 8. November 2021 an der Universitätszahnklinik Wien der Medizinischen Universität Wien statt. Dr. Dilyana Filipova, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei ÄgT und Vorstandsmitglied Dr. med. Andreas Ganz hoben in ihrer Laudatio die Innovationskraft des Projektes hervor. „Gerade im Bereich der Zahn- und Kiefermedizin sind nur wenige menschenrelevante Modelle vorhanden. Zudem werden für diese Zwecke sehr grausame Tierversuche, etwa mit Hunden und Kaninchen, gemacht. Deswegen freuen wir uns besonders, dieses vielfältige Projekt zu unterstützen“, so Filipova.
Preisträgerin Dr. Klara Janjić (li) mit ÄgT-Wissenschaftlerin Dr. Dilyana Filipova und Uni-Delegation sowie ÄgT-Vorstandsmitglied Dr. Andreas Ganz (2. v.re.)
Foto: MedUni Wien / feelimage
Verleihung am 29.11.2021 in Köln
Die Preisverleihung fand in der Vereinszentrale in Köln statt und wurde live auf YouTube übertragen. Dabei stellte Dr. Boomgaarden sein hochrelevantes, modernes, ambitioniertes Projekt vor, bei dem die orale Bioverfügbarkeit von ca. 150 Wirkstoffen bei Menschen mittels der Expertensysteme des Preisträgers analysiert und mit bereits vorhandenen Daten über die entsprechenden Werte bei verschiedenen Tierarten verglichen werden soll.
Von links: ÄgT-Geschäftsführer Claus Kronaus, Preisträger Dr. Wolfgang Boomgaarden und Dr. Dilyana Filipova, wissenschaftliche ÄgT-Mitarbeiterin.
Foto zur kostenfreien Nutzung mit Quelle: Foto Stephan Behrla/Nöhrbaß GbR
Die Sponsoren
Ein besonderer Dank geht an die beiden Sponsoren Sabine Herrmann und Florian Buchner, ohne deren großzügige zweckgebundene Spenden diese Förderungen innovativer Forschung nicht möglich wären. Florian Buchner ist es zudem zu verdanken, dass der HSP im Jahr 2019 nach einer langen Pause neu aufgelegt wurde. Wir danken beiden Sponsoren für ihren wichtigen Beitrag zu einer leidfreien und hocheffizienten Forschung und Medizin.
Weitere Informationen
Pressemitteilung vom 8.11.2021: Verleihung des Herbert-Stiller-Preises für tierversuchsfreie Forschung in Wien >>
Pressemitteilung vom 29.11.2021: Herbert-Stiller-Preis für menschenrelevante, tierfreie Medikamententestung für Forscher aus Emden >>