Validierung tierversuchsfreier Methoden
Es ist ein Kritikpunkt, den man häufig von Tierversuchsverfechtern hört: Die tierversuchsfreien Forschungsmethoden seien nicht validiert. Das ist schlichtweg eine Falschaussage. Zahlreiche solcher Verfahren wurden bereits erfolgreich validiert und einige davon können gezielt in unserer NAT-Database gefunden werden. Was nachweislich jedoch nie validiert wurde, sind die Tierversuche. Würden die tierversuchsfreien Methoden eine so schlechte Voraussagekraft und Reproduzierbarkeit an den Tag legen wie Tierversuche, dann würden sie keine Validierung überstehen. Zum Glück sind sie aber besser und die Liste der validierten tierversuchsfreien Tests wird immer länger.
Was bedeutet Validierung?
Validierung tierversuchsfreier Testverfahren ist ein großes Thema, wenn es darum geht, diese Methoden als sogenannte „Alternativen zum Tierversuch“ zu etablieren. Doch was genau bedeutet dieser Begriff eigentlich? Allgemein versteht man unter Validierung die Überprüfung von zuvor festgelegten Nutzungskriterien eines Produktes/Testverfahrens. Entscheidend sind hierbei letztlich die Nutzer bzw. Nutzungsziele, die individuell festgelegt werden können. Eine erfolgreich abgeschlossene Validierung soll dem Nutzer zeigen, dass das Produkt/der Test zuverlässig ist und entscheidende Anforderungen erfüllt. Bei tierversuchsfreien Methoden möchten viele Hersteller in Europa eine Validierung erreichen, die von der Europäischen Kommission und der Organisation for Economic Cooperation and Development – OECD, einem Zusammenschluss der wichtigsten Industrienationen, akzeptiert wird, sodass das Produkt bzw. der Test offiziell als „Alternative zum Tierversuch“ deklariert wird. Der Weg zur regulatorischen, also gesetzlichen Akzeptanz eines Testverfahrens ist lang und steinig. Die Prozedur erstreckt sich über viele festgelegte Schritte und etliche Gremien prüfen und entscheiden nach diversen Kriterien, ob die jeweilige Methode geeignet ist oder nicht (1). Die Validierung des Tests ist hierbei nur der erste Schritt, gefolgt von weiteren Stufen, die der Test durchlaufen muss, bevor er letztendlich regulatorisch akzeptiert wird. Die Validierung an sich ist hier bereits ein strikter Prozess, der exakte Kriterien erfüllen muss, die vom ECVAM und der OECD festgelegt sind (2).
Unsere NAT-Database bietet die Möglichkeit, nach validierten Methoden zu filtern. Diese machen nur einen Bruchteil aller NAT-Einträge aus, was die Realität widerspiegelt. Grundsätzlich werden nämlich die meisten tierversuchsfreien Methoden, die weltweit entwickelt werden, nicht validiert. Sie dienen häufig der akademischen bzw. Grundlagenforschung, bei der eine Validierung einer Forschungsmethode i.d.R. nicht im Vordergrund steht, sondern der wissenschaftliche Neuwert. Forschungsmodelle und -methoden sind hier nur Mittel, um wissenschaftliche Sachverhalte zu erforschen. Es gibt auch keine oder kaum staatliche Fördergelder, die Methodenvalidierung finanzieren, staatliche Gelder sollen prinzipiell die Erschließung neuen Wissens fördern. Meist sind es Unternehmen, die große Summen für Validierung investieren, wenn sie Interesse an einer bestimmten Methode haben.
Validierung tierversuchsfreier Testmethoden auf europäischer Ebene
Zuständig für die Validierung von „Alternativmethoden zum Tierversuch“ in Europa ist das ECVAM, das European Center for the Validation of Alternative Methods (3). Seine Aufgabe ist es, den Weg der tierversuchsfreien Verfahren hin zur regulatorischen Akzeptanz zu begleiten und zu koordinieren, so dass sie bei Sicherheitstestungen anstelle von bislang vorgeschriebenen Tierversuchen eingesetzt werden können. Im außereuropäischen Ausland gibt es analoge Institutionen, die eng mit dem ECVAM zusammenarbeiten, ebenso erfolgt ein stetiger Abgleich mit der OECD. Das ist in Anbetracht unserer globalisierten Wirtschaft sehr wichtig, damit im Idealfall Behörden weltweit eine Testmethode als „Alternative zum Tierversuch“ akzeptieren, wenn es beispielsweise um die Registrierung einer Chemikalie oder der Entwicklung eines neuen Produktes geht. Das ECVAM ist Teil des JRC (Joint Research Center) und untersteht der Europäischen Kommission (4).
Wird eine tierversuchsfreie Testmethode beim ECVAM angemeldet, erfolgt vor Beginn des Validierungsverfahrens zunächst eine Konsultierung mehrerer Gremien und Gruppen von Interessensvertretern (sog. Stakeholdern), die die Relevanz der Methode evaluieren. Erst im Anschluss daran startet ggf. der extrem aufwendige Validierungsprozess, der einer Art Qualitätssicherung gleicht. Hierbei hat das ECVAM konkrete experimentelle Kriterien, die der Test erfüllen muss. Es handelt es sich um strikte Anforderungen, wodurch die Zuverlässigkeit des Testverfahrens belegt wird und die gewährleisten sollen, dass der Test immer gleichbleibende Ergebnisse produziert, egal, von wem und wo er durchgeführt wird. Das heißt, die Ergebnisse müssen eine gewisse Reproduzierbarkeit aufweisen oder in verschiedenen Laboratorien dieselben Ergebnisse liefern. Durchgeführt werden die Validierungsstudien i.d.R. in den eigenen Laboren des ECVAM oder in den ca. 40 akkreditierten Laboren, die mit dem ECVAM zusammenarbeiten, den sog. NETVAL-Laboratorien (Network of Laboratories for the Validation of Alternative Methods), die sich an verschiedenen Standorten in Europa, auch in Deutschland, befinden (5). Im Anschluss an die Validierung werden die Ergebnisse von dem wissenschaftlichen Expertenkomitee ESAC (ECVAM Scientific Advisory Committee) begutachtet. Letztendlich erstellt das ECVAM in Zusammenarbeit mit weiteren Gremien aus Interessensvertretern und Experten eine Empfehlung zu einer Methode, die dann veröffentlicht und auch der Europäischen Kommission vorgelegt wird. Diese Empfehlung ist wohlgemerkt nicht verpflichtend oder gesetzlich bindend, sollte aber von Entscheidungsträgern und Behörden in den Mitgliedsstaaten berücksichtigt und adaptiert werden. Zuletzt gab es solch eine Empfehlung im Mai 2020 zur Verwendung tierfreier Antikörper, deren uneingeschränkter Vorteil gegenüber tierischen Antikörpern in dem Dokument klar herausgestellt wird (6).
Der letzte Schritt ist schließlich die offizielle regulatorische Akzeptanz eines Verfahrens als „Alternative zum Tierversuch“. Diese Methode kann dann für bestimmte Testungen im regulatorischen Bereich anstelle von Tierversuchen eingesetzt werden, z.B. wenn es darum geht, zu prüfen, ob eine bestimmte Chemikalie die Haut reizt. Das Problem ist hier, dass die zuständigen europäischen Behörden diese Tests i.d.R. zwar auch akzeptieren, jedoch gibt es nicht für all die zahlreichen Testkriterien, die untersucht werden müssen, tierversuchsfreie Verfahren, die anstelle von Tierversuchen akzeptiert werden. Es ist also noch weitere Etablierungsarbeit nötig, um die Testung an Tieren komplett zu verbannen.
Der gesamte Validierungsprozess bis zur behördlichen Anerkennung und Aufnahme in Rechtsvorschriften dauert etliche Jahre. Es kommt leider vor, dass tierversuchsfreie Verfahren oftmals parallel zum Tierversuch geführt werden, wie z.B. beim Pyrogentest. Hiermit hat das ECVAM allerdings nichts zu tun.
Scheitern des 3R-Konzepts
Viele tierversuchsfreie In-vitro-Tests wurden validiert und regulatorisch akzeptiert, als von der EU ein Verbot von Tierversuchen im Bereich Kosmetik erlassen wurde (7). Dieses Verbot trat 2013 in Kraft und der Sachverhalt ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, klare gesetzliche Verbote zur Abschaffung von Tierversuchen auszusprechen, um die tierversuchsfreie Forschung und deren regulatorische Akzeptanz voranzutreiben. Im Gegensatz dazu ist eine Reduktion der Tierversuche 10 Jahre nach Inkrafttreten der EU-Tierversuchsrichtlinie nicht ansatzweise zu sehen, weil diese keine klaren Verbote ausspricht und zu viel Spielraum lässt, um doch noch Tierversuche durchführen zu können (8).
Das in der Richtlinie verankerte 3R-Prinzip hat sein Ziel ebenfalls verfehlt, denn wenn die beiden Rs zu Reduce (Reduktion von Tierversuchen) und Replace (Ersatz von Tierversuchen) funktioniert hätten, hätte man nach 10 Jahren einen deutlichen Rückgang der Tierversuchszahlen in der EU feststellen müssen, was jedoch keineswegs der Fall ist (9). Die Gründe für das Scheitern des 3R-Konzepts sind vielfältig, u.a. verstecken sich leider viele Forscher hinter dem dritten R, das für Refine steht, also die „Verbesserung“ von Tierversuchen bzw. Haltungsbedingungen. Wenn man die Käfige von „Versuchstieren“ um ein paar Quadratzentimeter vergrößert oder mit zusätzlichem Beschäftigungsmaterial ausstattet, trägt das nicht ansatzweise zur Lösung des Problems bei, dennoch werden derartige Maßnahmen als Beitrag zum Tierschutz anerkannt.
Beispiele validierter Testmethoden
Im Rahmen der Abschaffung von Tierversuchen für Kosmetikprodukte sind insbesondere viele Tests an humanen 3D-Zellkulturmodellen bzw. Gewebemodellen validiert worden. Hierzu zählen z.B. 3-dimensionale Modelle der menschlichen Haut (10), des Auges (11) und der Atemwege (12). Bei diesen Tests befinden sich die komplexen Zellmodelle in einer Zellkulturplatte und die zu testende Substanz kann einfach appliziert werden. In den meisten Fällen wird über ein Photometer eine Farbreaktion nachgewiesen, deren Intensität das Ausmaß der Schädigung der Zellen durch die Testsubstanz widerspiegelt. Von all diesen Modellen gibt es mittlerweile auch regulatorisch akzeptierte Tests, die eingesetzt werden können, um geforderte Testkriterien wie Augenreizung, Hautreizung, Reizung der Atemwege etc. nachzuweisen, ohne dass Tierversuche zum Einsatz kommen müssen.
Eine detaillierte Übersicht aller Testmethoden, die sich aktuell im Validierungsprozess des ECVAM oder im weiteren Prozedere befinden oder bereits akzeptiert sind, findet man in der Datenbank TSAR (Tracking System for Alternative Methods towards Regulatory Acceptance) (13). Auch hier ist jedoch Vorsicht geboten, denn nicht all diese Methoden sind tatsächlich frei von tierischen Geweben oder Komponenten, es ist lediglich garantiert, dass nicht an lebenden Tieren getestet wird.
Insbesondere im Bereich der Sicherheitstestung von Chemikalien sind die computerbasierten Verfahren (in silico) hervorzuheben (14). Sie haben sich als validierte und regulatorisch akzeptierte „Alternativmethoden zum Tierversuch“ durchaus etabliert und kommen mittlerweile häufig zum Einsatz, wenn es z.B. um die Zulassung von Chemikalien geht bzw. darum, abzuschätzen, ob die Substanz schädliche Auswirkungen auf den menschlichen Organismus haben könnte.
Umdenken nötig
Trotz der steigenden Zahl von validierten Methoden, die tierversuchsfreie Testungen ermöglichen, wird leider bei der Validierung mit zweierlei Maß gemessen. Die Tierversuche sind im regulatorischen Bereich immer noch das Maß der Dinge, der sogenannte Goldstandard, an dem sich die humanbasierten tierversuchsfreien Methoden zu allem Übel auch noch messen müssen. Und das, obwohl bekannt und wissenschaftlich vielfach belegt ist, dass die Vorhersagekraft der Tierversuche – auch bei Sicherheitsprüfungen und toxikologischen Untersuchungen – schlecht ist. Warum soll ein innovatives Testverfahren, das auf humanen Zellen basiert und somit logischerweise den Menschen besser widerspiegelt, seine Tauglichkeit an Tierversuchen unter Beweis stellen? Das ist absurd und auch ein Dilemma bei strategischen Überlegungen zur Abschaffung von Tierversuchen im regulatorischen Bereich. Aus dem Grund sprechen wir auch nicht von „Alternativen“, bzw. setzen den Begriff in diesem Artikel in Anführungszeichen, denn eine „Alternative“ impliziert, dass etwas Gleichwertiges ersetzt wird. Humanbasierte Methoden sind aber nicht gleichwertig, sondern besser.
Es muss ein generelles Umdenken stattfinden, weg vom klassischen „Ersetzen“ vorgeschriebener Tierversuche, denn genau so wird es eben nicht funktionieren. Laut der europäischen Chemikalienagentur ECHA sind bestimmte Tierversuche mittlerweile recht gut oder gar vollständig „durch Alternativmethoden zu ersetzen“, komplexere Untersuchungen jedoch noch nicht (15). Beispielsweise sei es schwierig, einen 90-Tage-Toxizitätstest bei einer Ratte in vitro zu simulieren. Das ist aber genau die falsche Herangehensweise. Es darf nicht das Ziel sein, einen aktuell verwendeten Rattentest in vitro zu simulieren, sondern man muss im Fokus behalten, dass man das toxische Langzeitpotenzial einer Substanz beim Menschen untersuchen will. Wer sagt, dass der klassische 90-Tage-Test, bei der die Ratte jeden Tag (!) eine potenziell giftige Substanz oral per Schlundsonde verabreicht bekommt, die Methode der Wahl ist? Auch dieser Test wurde nie validiert, sondern hat sich einfach etabliert und wird nun seit Jahrzehnten standardmäßig durchgeführt. Würde man eine korrekte Validierung dieses Tests vornehmen, würde er mit höchster Wahrscheinlichkeit durchfallen, denn die Fehleranfälligkeit des Tests und die mangelnde Übertragbarkeit auf den Menschen sind nicht von der Hand zu weisen.
Fazit
Leider gibt es noch keine Lösung für diese komplexen Probleme. Gut und erfreulich ist aber, dass offen und kritisch darüber diskutiert wird, und zwar mit allen beteiligten Interessensvertretern inklusive NGOs, europäischen Behörden und Entscheidungsträgern. Auch wir setzen uns zusammen mit unseren europäischen Dachverbänden ECEAE (European Coalition to End Animal Experiments) und Eurogroup for Animals dafür ein, dass Probleme nicht totgeschweigen werden und dass konkrete Ideen und Strategien entwickelt werden, damit Entscheidungsträger auf nationaler und europäischer Ebene die Abschaffung der Tierversuche klar fokussieren. Hierzu gehören vor allem zwei Dinge: den innovativen tierversuchsfreien Methoden das wohlverdiente Vertrauen zu schenken und zudem die Augen nicht davor zu verschließen, dass Tierversuche aufgrund ihrer mangelnden Aussagekraft nicht das Forschungsmodell der Zukunft sein dürfen.
13.07.2020
Dr. rer. nat. Tamara Zietek
Quellen
(1) EU Science Hub: Validation and submission process
(2) OECD: ENV/JM/MONO(2005)14
(3) EU Science Hub: EU reference laboratory for alternatives to animal testing
(4) EU Science Hub: Joint Research Centre (JRC)
(5) EU Science Hub: EU-NETVAL
(6) Barroso V et al. EURL EVCAM Recommendation on non-animal derived antibodies. 2020
(7) Aus für Kosmetik-Tierversuche! Ärzte gegen Tierversuche, 12.3.2013
(8) EU-Tierversuchsrichtlinie – Hintergrundinfos. Ärzte gegen Tierversuche, 27.01.2014
(9) Neue Statistik: Tierversuchszahlen in der EU auch 2017 nicht gesunken. Ärzte gegen Tierversuche, 02.02.2020
(10) SkinEthic™ RHE reconstructed human epidermis. Episkin
(11) EpiOcular™. MatTek Life Sciences
(12) MucilAir™. Epithelix
(13) EURL ECVAM Tracking system for alternative methods towards regulatory acceptance (TSAR)
(14) EU Science Hub: Computational Methods
(15) ECHA: The use of alternatives to testing on animals for the REACH Regulation 2020; DOI:10.2823/509114