Hirnforschung an Affen in Bremen
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Die Historie
Seit 1997, als Hirnforscher Andreas Kreiter an die Uni Bremen berufen wurde, gibt es vehementen Widerstand gegen die invasive Hirnforschung an Affen. Dank der unzähligen Proteste zehntausender Bürger reagierte die Politik. Die Bremer Bürgerschaft beschloss 2008 einstimmig einen geordneten Ausstieg aus den Affenversuchen und stoppte die Verlängerung der Genehmigung. Doch der Experimentator klagte vor Gericht und nach einem jahrelangen erbitterten Rechtsstreit gewann er. Das bedeutet, die Affen müssen weiter leiden. Aktuell droht ein erneuter Rechtsstreit: Im Eilverfahren hatte Kreiter die Fortführung seiner Ende 2021 auslaufenden Versuche erwirkt. Die Gesundheitsbehörde wollte den Antrag erneut ablehnen, wurde aber vom Gericht angehalten, die Genehmigung bis zunächst November 2022 zu erteilen. Die letzte Verlängerung läuft Ende November 2023 aus. Die Behörde hat den Neuantrag auf Fortführung der Experimente über dieses Datum hinaus abgelehnt – ein Meilenstein! Über den gestellten Eilantrag der Uni entschied das Bremer Verwaltungsgericht am 17. April 2024, die Affenhirnversuche vorläufig weiter zuzulassen, allerdings mit Einschränkungen.
Möglicher Nutzen gleich Null
Im Oktober 2008 verweigerte die damals für Tierschutz zuständige Gesundheitssenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) die Verlängerung der Genehmigung. Die rot-grüne Bremer Landesregierung hat vor allem ethische Bedenken. Der Tierschutz überwiege gegenüber dem möglichen Nutzen der Versuche. Laut Tierschutzgesetz müssen Tierversuche „unerlässlich“ und „ethisch vertretbar“ sein. Auch wird durch die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz und der Bremer Landesverfassung dessen Bedeutung unterstrichen.
Kreiter pocht dagegen auf seine grundgesetzlich garantierte Forschungsfreiheit. In einer beispiellosen Medienkampagne stellt sich der Hirnforscher als Opfer der Politik und des Tierschutzes dar. Epilepsiekranken wolle er helfen. Wollen kann man vieles. Doch bislang Kreiters Experimente keinerlei Nutzen für kranke Menschen erbracht. Versuche an Affen geben allenfalls Aufschluss über die Funktion des Affenhirns. Eine mögliche Behandlung von Alzheimer oder Epilepsie ist nur vorgeschoben. Tatsächlich handelt es sich um reine Grundlagenforschung ohne praktischen Bezug. Der Nutzen für kranke Menschen gleich null. Dagegen gibt es innovative, für kranke Menschen relevante Forschungsmöglichkeiten, das menschliche Gehirn einschließlich kognitiver Leistungen, Funktion und Erkrankungen zu untersuchen, beispielsweise mittels lebensechten Hirnorganoiden oder bildgebenden Verfahren.
Unerträgliche Leiden
Auch behauptet Kreiter, die Affen würden nicht leiden. Ihre Haltung sei international vorbildlich und auch in der freien Wildbahn würden Affen auch nicht ständig trinken. Die Tiere werden über Jahre konditioniert, für einen Tropfen Saft in einen Primatenstuhl zu steigen und sich den Kopf an einem zuvor implantierten Bolzen anschrauben zu lassen. So fixiert müssen sie jeden Tag mehrere Stunden auf einen Bildschirm blicken und Hebel drücken. Was Kreiter verharmlosend als „Training" bezeichnet, würde man beim Menschen Folter nennen. Die Tiere werden durch permanenten Durst dazu gezwungen, Dinge auszuhalten, die Menschen als unerträglich empfinden würden. Dem Betrachter, den Kreiter großzügig durch sein Labor führt, erschließt sich die Qual der Tiere nicht. Durst kann man nicht sehen.
Finanziert wird das alles aus Mitteln des Bundesministeriums für Forschung und Technologie, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der EU sowie diverser Stiftungen. Die DFG wird aus öffentlichen Geldern von Bund und Ländern finanziert.
Langwieriger Rechtsstreit
Anders als in Berlin (2008) und München (2006), wo gleichartige Tierversuche ohne große Gegenwehr der Forscher von den zuständigen Behörden abgelehnt wurden, entfachte 2008 in Bremen ein jahrelanger erbitterter Rechtsstreit. Mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Uni Bremen im Rücken zog Kreiter bis vors Bundesverfassungsgericht. Die Forschungsszene fürchtet zukünftig Einschnitte in die bislang grenzenlose Freiheit der Wissenschaft.
Gegen die Ablehnung der Genehmigung durch die Bremer Gesundheitsbehörde legte der Hirnforscher Widerspruch ein und beantragte gleichzeitig beim Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung, die ihm die Fortführung der Versuche erlauben sollte, solange bis der Rechtsstreit beendet ist.
Im Dezember 2008 entschied das Verwaltungsgericht Bremen, dass die Versuche längstens bis zwei Monate nach Zustellung des Widerspruchsbescheides des für die Genehmigung zuständigen Gesundheitsressorts fortgeführt werden dürfen. Im August 2009 erfolgte die Zustellung des Bescheides. Die Genehmigungsbehörde erteilte den Primatenversuchen darin erneut eine Absage. Im Oktober 2009, unmittelbar vor Ablauf der zweimonatigen Frist, erlaubte das Bremer Verwaltungsgericht in einer vorläufigen Entscheidung die Fortführung der Versuche. Das heißt, bis zu einer endgültigen Entscheidung darf Kreiter die Affen weiterhin quälen - ohne eine behördliche Genehmigung nach § 15 Tierschutzgesetz dafür zu haben.
Am 28. Mai 2010 hob das Bremer Verwaltungsgericht den Ablehnungsbescheid der Genehmigungsbehörde auf, der dem Forscher eine Fortführung seiner Tierversuche untersagt hatte. Das Gericht gab der Behörde auf, die Ablehnung neu zu begründen. Die Behörde muss durch neue Gutachten die Belastung der Tiere sowie die Bedeutung des Forschungsvorhabens klären.
Die Richter hatten in dieser ersten Verhandlung das Staatsziel Tierschutz völlig außer Acht gelassen und zeigten sich eher den Interessen der Universität zugeneigt. Der Freiheit der Forschung wurde offensichtlich ein höherer Rang eingeräumt als dem seit 2002 gleichwertig im Grundgesetz verankerten Tierschutz. Die Behörde legte gegen das Urteil Berufung ein. Im August 2011 beantragte Kreiter die Fortführung seiner qualvollen Hirnversuche an Affen. Die noch gültige Genehmigung endete im November 2011, Kreiter strebte eine Verlängerung der Versuche bis 2014 an. Die zuständige Genehmigungsbehörde lehnte den Antrag nun erneut ab. Gestützt wird die Entscheidung von einem Gutachten des renommierten amerikanischen Psychologieprofessors John Gluck, dem zufolge das Leid der Affen als ‚moderat bis erheblich’ einzustufen und insbesondere der Wasserentzug als sehr belastend zu werten ist. Die Angaben Kreiters, die Affen würden nicht leiden, wurden deutlich widerlegt. Die Universität kündigte unmittelbar an, Klage einzureichen.
Der Eilbeschluss vom 25.11.2011 hat das Oberverwaltungsgericht Bremen die Fortführung der laufenden Hirnversuche um ein Jahr, d.h. bis zum 30. November 2012, verlängert; der Beschluss bezieht sich nicht auf Kreiters Antrag auf neue Tierversuche, der von der Behörde am 3.11.2011 abgelehnt wurde. Grund für die Entscheidung des Gerichts war unter anderem, dass hier das Interesse des Forschers Vorrang vor dem Tierschutz habe, da es um Versuchsreihen gehe, die mit behördlicher Genehmigung begonnen und dann aufgrund einer einstweiligen Anordnung des Verwaltungsgerichts fortgeführt wurden. Nach Ansicht des Gerichts würde ein Abbruch der Versuche den Erfolg der bisher unternommenen Forschungsanstrengungen beeinträchtigen.
Von der ethischen Unvertretbarkeit dieser qualvollen Versuche einmal abgesehen, fehlen jegliche Nachweise über den Nutzen der Hirnforschung an Affen für die Entwicklung von Therapien für Menschen. Unter der pauschalen Prämisse, für die Menschheit bedeutende Forschungen zu betreiben, wurde hier höchstrichterlich das Staatsziel Tierschutz unzureichend berücksichtigt.
Am 11. Dezember 2012 die erschütternde Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bremen: Kreiter bekam Recht, darf weiter ungehindert Affen quälen. Nicht einmal eine Revision ließ das Gericht zu. Die Behörde legte Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein, welche jedoch mit Beschluss vom 20. Januar 2014 zurückgewiesen wurde. Damit ist das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bremen rechtskräftig und die Affen müssen weiterhin grausamste Torturen über sich ergehen lassen.
Mitte 2021 hatte Kreiter die Verlängerung seiner Hirnforschung an der Bremer Universität über den 30.11.2021 hinaus beantragt. Der Bremer Senat steht einer Fortführung nach wie vor ablehnend gegenüber und wollte dem Verlängerungsantrag nicht stattgeben. Noch bevor ein behördlicher Bescheid ergehen konnte, hatte jedoch die Uni Bremen einen Eilantrag an das Bremer Verwaltungsgericht gestellt.
Am 24.11.2021 hat das Gericht dem Eilantrag stattgegeben, d.h., Kreiter darf seine Versuche fortführen. In seiner Begründung stützt sich das Gericht unter anderem darauf, dass die Affenhirnversuche bereits seit vielen Jahren laufen und mehr oder weniger Rechtschutz bestehe, da es sich nur um einen Verlängerungsantrag handelt.
Am 03.02.2022 hat dann das Verwaltungsgericht Bremen im Wege der einstweiligen Anordnung die Fortführung der Affenhirnversuche bis zum 30.11.2022 genehmigt. Damit hat die Kammer seine Zwischenentscheidung 24.11.2021 bekräftigt.
Die letzte Verlängerung lief Ende November 2023 aus. Da für die Fortführung der Bremer Affenhirnversuche über dieses Datum hinaus ein Neuantrag erforderlich war und keine bloße Verlängerung, bestand rechtlich eine Chance, die qualvollen Versuche endlich zu stoppen. Denn der Neuantrag auf Durchführung der Versuche muss umfassend auf deren Unerlässlichkeit überprüft werden, also ob sie ethisch vertretbar sind und der angegebene Nutzen diese rechtfertigt. Ein Etappensieg ist erreicht, da die Bremer Gesundheitsbehörde am 14.11.2023 den Antrag ablehnte. Eine Woche später wurde bekannt, dass die Uni Bremen einen Eilantrag an das zuständige Gericht gestellt hat, um eine weitere Fortführung der Versuche zu erwirken.
Am 17. April 2024 entschied das Bremer Verwaltungsgericht, die Affenhirnversuche vorläufig weiter zuzulassen. Dies allerdings mit der Einschränkung, dass neue Tiere keinen versuchsvorbereitenden chirurgischen Eingriffen unterzogen werden dürfen, womit der weitergehende Antrag abgelehnt wurde. Gerade angesichts der Tatsache, dass diese Versuche maßgeblich auf invasiven Messungen fußen, kann diese Maßgabe als Meilenstein gesehen werden. Das Gericht hat zudem diese Gestattung auf lediglich zwei Monate nach einer Entscheidung der Genehmigungsbehörde über den Widerspruch gegen die Ablehnung des Tierversuchsantrags des Affenhirnforschers begrenzt.
Zu den Gründen führt das Gericht an, dass die Fachgutachten keine wissenschaftlich fundierte Grundlage bieten würden und eine Abwägung zwischen der Belastung der Tiere und der Bedeutung des Forschungsvorhabens nicht abschließend möglich sei. Im Rahmen einer Folgenabwägung hat es daher im Wesentlichen die Argumente des Antragstellers berücksichtigt. Insgesamt kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Schaden durch Beendigung der Versuche höher wiege als die Belastungen der Tiere, welche hier nur als maximal mittelgradig anerkannt werden. Das Gericht weist jedoch in seiner Entscheidung darauf hin, dass die Bewertung des Schweregrades in einem Hauptsacheverfahren möglicherweise anders ausfallen könnte.
Angesichts der Dokumentation über das schwerste Leid in der Affenhirnforschung bei gleichzeitig unerwiesenem Nutzen ist nicht auszuschließen, dass bei einer weiteren Überprüfung diese Forschung keinen Bestand haben wird.
Schluss mit der Affenhirnforschung
Plakataktion gegen Affenhirnforschung in Bremen
Wir werden weiter dafür kämpfen, ein Ende der unwissenschaftlichen und grausamen Versuche herbeizuführen. Bei einer korrekten Schaden-Nutzen-Abwägung, wie sie das Tierschutzgesetz verlangt, kann es keine Genehmigungsfähigkeit für diese Versuche geben. Denn der Schaden in Form von Leiden und Ängsten der Tiere ist nachweislich außerordentlich hoch, während der Nutzen beispielsweise in Form von besonders bedeutsamen Erkenntnisgewinn oder konkreten klinischen Anwendungsmöglichkeiten auch nach mehreren Jahrzehnten nie nachgewiesen wurde.
Es kann nicht angehen, dass ein aus öffentlichen Mitteln bezahlter Forscher sich einfach über gesellschaftliche Werte und demokratische Prinzipien hinwegsetzt. Die Forschungsfreiheit auf Kosten leidensfähiger Tiere muss endlich in die Schranken gewiesen werden.
19.04.2024
Dipl. Biol. Silke Strittmatter, Dr. med. vet. Corina Gericke
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